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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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können, und nahm Hercule bei der Hand. »Ich bin bei dir«, redete ich ihm zu. »Du wirst sehen: Alles wird gut.« Mit der anderen Hand streichelte ich ihm die Wange. Zwar war sein Gesicht jetzt von einem ungepflegten, struppigen Vollbart zugewuchert, doch der konnte nicht verbergen, dass es erschreckend abgemagert war.
    »Maman«, flüsterte Hercule. »Ich habe schreckliche Angst.«
    Tränen verschleierten mir die Sicht. Er war doch mein Fleisch und Blut, mein letztes Kind der Liebe, das ich meinem Gemahl geschenkt hatte. Er hatte im Leben kein Glück gehabt. Die Wundmale einer Krankheit hatten ihn hilflos in einer Welt zurückgelassen, die nur Grausamkeit kannte. Und ich hatte ihn im Stich gelassen. Ich hätte ihn schützen müssen.
    »Hab keine Angst«, sagte ich. »Du bist in Sicherheit. Ich liebe dich. Genauso wie dich dein Bruder und deine Schwester Margot lieben.«
    In den nächsten sechs Tagen blieb ich bei ihm, reinigte seine Wunde und verabreichte ihm gewaltige Mengen an Mohn und Rhabarber. Er wurde so dünn, dass sich die Haut über die Knochen spannte. Da mir klar war, dass nichts ihn retten konnte,wollte ich wenigstens dafür sorgen, dass er so schmerzfrei wie nur möglich blieb. Als sein Atem flacher wurde und sein Bein sich völlig schwarz färbte, legte ich mich zu ihm ins Bett und zog seinen Kopf an meine Brust. Ich sang ihm alle möglichen Kinderlieder vor, wie sie jede Mutter ihrem Kind ins Ohr summt. Und er ließ sich von meiner Stimme und der Bewegung meiner über sein Haar streichenden Hände beruhigen und wurde an meinem Körper ganz weich.
    Als er schließlich erschlaffte, zerbarst mein Herz unwiederbringlich in Tausende Splitter. Ich schlang die Arme um Hercules leblosen Körper und weinte um ihn, wie ich das zu seinen Lebzeiten nie getan hatte, und um dieses elende Schicksal, das ihm alles geraubt hatte, was ihm versprochen war, bevor er eine Möglichkeit hatte, es einlösen und ein erfülltes Leben führen zu können.
    Ich hatte meinen Sohn verloren. Henri hatte seinen Erben verloren.
    Und wenn es nach Guise ging, würde Frankreich alles verlieren.

    Nachdem ich seine Leiche den Balsamierern übergeben hatte, suchte ich Henri in seinen Gemächern auf. Bei meinem Eintreten erhob sich mein Sohn sogleich. »Ist er …?«
    Ich nickte. Als er sich stöhnend abwandte, sagte ich: »Wir müssen Pläne machen.« Mein Ton war sachlich und verriet nichts von den Qualen, die mich zu überwältigen drohten. Mehr denn je war jetzt meine Stärke gefordert. Die Gefahr, die drohte, weil Henri keinen katholischen Erben hatte, drängte alles andere in den Hintergrund.
    »Pläne?« Er blickte voll unverhüllter Angst auf. »Was für Pläne? Was soll ich denn tun?«
    Ich sah ihm unverwandt in die Augen. »Wir laden Navarra an den Hof ein. Er ist jetzt dein mutmaßlicher Erbe. Auch wenn er mir geschworen hat, dass er nie wieder konvertieren wird, müssen wir ihm zureden, bis er Vernunft annimmt.«
    Henri fuhr sich mit zitternder Hand durch die Haare. »Ihn an den Hof laden? Er ist ein Häretiker! Guise wird nie dulden, dass er zum Erben ausgerufen wird. Da bringt er ihn eher um!«
    »Vielleicht.« Ich hielt inne. »Aber Louise ist doch noch jung. Und du ebenfalls. Wenn du sie schwängerst …« Meine Stimme erstarb, als er jäh in verzweifeltes Lachen ausbrach. Dann verstummte er.
    »Ihr versteht das nicht«, flüsterte er. »Ich habe es versucht. Ich habe es weiß Gott versucht. Ich berühre sie überall … und empfinde nichts. Ich kann einfach nicht …« Er schluckte und blickte mich traurig an. »Sie kann nichts dafür. Es liegt an mir … Ich kann von einer Frau einfach nicht erregt werden.«
    Seine Worte zerstörten den letzten Rest der Illusion, die er zwischen uns errichtet hatte. Ich machte ihm keine Vorwürfe. Ebensowenig versuchte ich, ihn zu bedrängen oder zu ermutigen. Wie ich konnte er Begehren nicht vortäuschen. Dazu waren wir einfach nicht geschaffen. Ich musste akzeptieren, dass aus seinen Lenden kein Kind entstehen würde.
    Jetzt blieb uns nur noch Navarra. Er musste uns vor Guise retten.
    Ich breitete die Arme aus, und Henri barg den Kopf an meiner Brust. Er war immer noch mein Sohn. Er war immer noch unser König.
    Und solange er lebte, bestand Hoffnung.
    »Vertrau mir«, flüsterte ich. »Ich werde dich beschützen. Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug für dich kämpfen.«

37
    Henri und ich ritten los, um Navarra vor den Mauern von Paris willkommen zu heißen. Wegen Hercule, der in

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