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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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meinen und Henris vergoldeten Initialen auf den Zierleisten. Mein Kabinett in Blois war einer der wenigen Orte in Frankreich, wo das verschlungene HD nicht zu sehen war, und ein anderer hätte dies vielleicht schmunzelnd zur Kenntnis genommen.
    Nostradamus verschwendete keinen Blick an den Raum. Er setzte sich auf den Stuhl, den ich ihm zuwies, und lehnte den angebotenen Wein ab. »Ich war überrascht von dem Brief Eurer Hoheit. Ich habe Euch über die Jahre verschiedene Botschaften gesandt, doch Ihr habt niemals geantwortet.«
    »Ihr habt mir Briefe geschickt? Ich habe nichts erhalten. Ich versichere Euch …« Ich stockte; fast hätte ich ihn angelogen. »Die Wahrheit ist, ich erhalte Hunderte von Bittbriefen. Mein Sekretär legt mir die dringendsten natürlich vor, aber ich kann mir unmöglich jeden ansehen.«
    »Ich verstehe. Meine Botschaften waren unwichtig.«
    »Nein, nein! Sie wurden nur übersehen.«
    »Nein. Sie waren unwichtig.«
    Ich begriff, dass er nicht meinte, ich hätte sie für unwichtig gehalten oder sie seien versehentlich ignoriert worden; er meinte …
    »Ich meine, sie sollten Euch nicht erreichen«, sagte er und lächelte zum ersten Mal, wobei er schiefe Zähne entblößte. »Gott leitet uns auf unseren Pfaden. Ihr wisst das; auch Ihr spürt das Unsichtbare.«
    Unter meinem Zwerchfell flatterte es, als entrollte meine Gabe ihre Tentakel.
    »Cathérine«, stammelte ich. »Nennt mich Cathérine.«
    »Das wäre nicht statthaft. Ihr seid meine Königin.«
    Schweigen trat ein. »Warum habt Ihr mir Briefe gesandt?«
    »Weil ich Visionen hatte«, sagte er. »Von Euch und der Zukunft. « Erwies mit dem Kinn zur Tür. »Ich schrieb sie vor Jahren nieder, bevor Ihr nach Frankreich kamt. Das Buch steckt in meinem Bündel. Wenn Ihr erlaubt, werde ich Euch die wichtigsten jetzt vortragen. Meine Visionen, wisst Ihr, kommen …« Er hielt inne, suchte nach dem richtigen Wort. »Sie kommen ohne Vorwarnung. Viele bleiben ein Rätsel.«
    »Ja«, sagte ich leise. »Ich weiß.«
    »Das dachte ich mir.« Er faltete die Hände. »Was ich Euch zu sagen habe, wird Euch nicht gefallen.«
    Das hatte ich schon erwartet. Ich konnte die Düsterkeit fühlen, die von ihm ausging und die nichts mit seiner Menschlichkeit zu tun hatte.
    »Ich bin nur ein Gefäß«, fuhr er fort. »Die Gabe wurde mir zum ersten Mal in meiner Jugend zuteil. Ich wusste schon immer, dass ich anders war, bereits als Kind, aber wie anders, verstand ich erst, als ich älter wurde. Erst kämpfte ich dagegen an. Ich mochte es nicht, dass die Gabe solche Macht über mich hatte. Mit der Zeit kam ich dazu, sie anzunehmen. Gott hat mich erwählt, aus Gründen, die ich nicht begreife. Vieles von dem, was ich sehe, drücke ich in Versen aus. Dichtung ist Musik. Der Zuhörende hört heraus, was er will.«
    Er schloss die Augen und seufzte, ein langer Seufzer, der aufstieg wie Rauch. Anspannung erfasste mich, als es in seinem Gesicht zuckte. Wie erstarrt saß ich da und wartete, während das Schweigen sich vertiefte.
    Schließlich sagte er: »›Der junge Löwe wird den alten im Kampfe schlagen. Er wird sein Auge im goldenen Käfig durchstoßen. Zwei Wunden in einer, wird der alte Löwe ein grausames Ende finden.‹«
    Ich runzelte die Brauen. Was sollte das heißen? Löwen waren natürlich ein Symbol für die Königswürde, aber Symbole konnten für vieles stehen, und was hatte das mit Kampf und Käfigen zu tun?
    Seine Lider bebten. Er benetzte die Lippen. »›Die Dame wird allein herrschen, ihr einzigartiger Gatte tot, der vormals auf dem Feld der Ehre glänzte. Sieben Jahre trauern wird sie und lange regieren.‹«
    Eine Welle tiefster Verzweiflung stieg in mir auf. Er saß noch eine Weile schweigend da, während seine Worte ausklangen. Dann schlug er die Augen auf und murmelte: »Ich gehe nun. Ich habe getan, wozu ich berufen wurde.«
    »Nein!« Schrill durchschnitt meine Stimme die Stille. Ich hielt inne, atmete zitternd ein. »Ich … ich verstehe nicht. Diese Prophezeiungen … was bedeuten sie?«
    Schweigend hielt er meinem Blick stand, mit trauriger, fast reuevoller Miene.
    »Ihr müsst es mir sagen«, drängte ich. »Bitte. Soll das heißen, dass ich … meinen Gemahl überleben werde?«
    Er beugte sich zu mir vor. Auch wenn wir uns nicht berührten, fühlte seine Nähe sich wie eine Liebkosung an. »›Keine Wahrheit kann sicher erkannt werden, welche die Zukunft betrifft.‹«
    Ich zuckte zusammen. »Jemand sagte das einst zu mir in meiner

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