Die Flotte der Caer
wahrzunehmen.
Er hatte die steinerne Wandung auf der Stirnseite des Schreins fast erreicht und konnte in sein Inneres blicken.
Dort lag auf dem Grund des nackten Steins ein menschlicher Körper. Das Wesen war unschwer als weiblich zu erkennen. Es war ein unglaublich zartgliedriges Geschöpf mit kindlich anmutendem Körper. Das silberne Haar umrahmte das Gesicht wie ein Schleier aus Spinnweben.
Aber dieses überirdisch scheinende Wesen war tot, und nur die Kunst des Balsamierens hatte den Zerfall der sterblichen Hülle verhindert. Und vielleicht war dabei auch Magie im Spiel gewesen.
Der Schrein war ein Sarg - und darin lag eine Mumie. Welche Geheimnisse konnte eine Mumie ihm schon anvertrauen?
Mythor klammerte sich mit einer Hand haltsuchend an die steinerne Wandung und stützte sich gleichzeitig mit dem Schwert am Boden ab.
Da geschah es.
Er zuckte im ersten Moment der Überraschung zurück, als sich aus dem Steinsarg eine silbrig flirrende Wolke erhob, die die Gestalt einer Frau annahm.
Mythor hielt den Atem an. Die Erscheinung hatte sich gefestigt, und doch blieb sie weiterhin ungreifbar.
Ihr Gesicht war von edler Sanftmut, und die Blässe der Haut hatte nichts Mumienhaftes mehr an sich. Ihr Haar glitzerte wie Tau im Morgenlicht.
Die Gestalt war von einem langen weißen Gewand bedeckt, das durch seinen lockeren Faltenwurf die Körperformen nur erahnen ließ.
Die Erscheinung der Frau schwebte über der Mumie, aus der sie geschlüpft war. Beine oder Füße waren keine zu sehen, denn ihr Gewand verlor sich in diesem Bereich in einem Nebelschleier.
Mythor stand keine vier Armlängen entfernt. Er wusste nicht, wie lange er wortlos dagestanden hatte, als er sich ein Herz fasste und fragte: »Wer. bist du?«
»Gwasamee.«
Er hörte die Antwort als Flüstern in seinem Kopf. Die sanfte, weibliche Stimme wurde nicht von Schall getragen, sondern von denselben unergründlichen Kräften wie die gespenstische Erscheinung selbst.
»Ich bin Gwasamee«, wiederholte die flüsternde Stimme. »Gwasamee, die Kometenfee. Und du hast den Weg zu mir gefunden.«
»Ich wollte nicht.«, begann Mythor, sprach aber nicht zu Ende.
»Du hattest nicht die Absicht, meine Ruhe zu stören, ich weiß«, flüsterte Gwasamees übernatürliche Stimme. »Wie solltest du auch wissen können, dass eine Kometenfee dich hier erwartet. Und meine nicht, dass du mich gestört hättest. Durch dein Erscheinen hast du mir dazu verholfen, dass ich endlich meine Ruhe finden werde. Einst wirkten mehrere von meiner Art auf dieser Welt. Doch sind sie längst endgültig vergangen. Nur mir war es aufgetragen, auf diese Weise über meine Zeit hinaus zu wirken.«
»Dann ist es vielleicht wahr, was Nyala über mich gesagt hat?« fragte Mythor laut, aber mehr zu sich selbst. Er heftete seinen Blick auf die Erscheinung. »Bist du eine Gesandte des Lichtboten, der einst die Welt besuchte und sie frei machte von aller Finsternis?«
»Nicht ganz frei von Finsternis, wie du wissen solltest«, antwortete Gwasamee. »Er konnte das Böse nur zurückdrängen und dafür sorgen, dass es in einem Bannstreifen gefangen war. Der Lichtbote konnte sein Werk nicht vollenden, er müsste weiterziehen. In weiser Voraussicht erkannte er jedoch, dass das Böse sich eines Tages wieder ausbreiten und sich anschicken würde, von der Welt erneut Besitz zu ergreifen.«
»Ich kenne die Legende, und ich habe sie in den Bildern an den Wänden wiedergefunden«, sagte Mythor, der seine Sicherheit wieder zurückgewonnen hatte. Er machte eine Bewegung, die die Gruft umfasste, und fügte bedauernd hinzu: »Ich habe die Bilder alle geschaut, aber sie gaben mir nicht ihre letzten Geheimnisse preis.«
»Das darf dich nicht verwundern«, sagte Gwasamee sanft. »Du bist ein Suchender, der seine ersten unsicheren Schritte auf dem Weg der Bestimmung getan hat. Die Bilder aber sind von einem Wissenden für Eingeweihte bestimmt. Verzage nicht, weil du sie nicht deuten konntest. Eines Tages wirst du den Bildern wieder begegnen, und dann wirst du ihre Botschaft vernehmen können. Höre, was ich sage, und du wirst erkennen, dass meine Worte auch nicht den richtigen und endgültigen Namen der Dinge nennen.«
»Bin ich denn nicht der Berufene, dass du mir die Geheimnisse vorenthältst?« fragte Mythor herausfordernd.
»Diejenigen, die sich alle berufen fühlten, sind Legende. Du hast ihre Gebeine gesehen«, sagte Gwasamee. »Du aber hast dich allein dadurch bewährt, dass du den Weg zu mir gefunden
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