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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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blickte verlegen auf das leere Wasserbehältnis in ihrer Hand.
    » Du warst die Frau im Wald bei Quedlinburg, nicht wahr? «
    Jetzt schaute sie erschrocken hoch. Konnte er sich etwa doch erinnern?
    » Ja, die war ich. Dass Ihr das noch wisst. «
    » Ich vergesse vieles, aber längst nicht alles. « Auch er schien nun ein wenig verlegen und schabte mit seinem rechten Fuß im Erdreich herum.
    » Warum müsst Ihr gehen? « , wagte Marie nun doch zu fragen.
    » Nun… « Konrad wusste nicht, was er sagen sollte, entschied sich nach einer langen Pause dann doch für die wenig einleuchtende Wahrheit. » Die Kräuterfrau hat recht. Mir haftet offenbar ein Fluch an. «
    Marie musste herzlich auflachen. Das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Glaubte er etwa den wirren, sich stets ändernden Prophezeiungen Majas? Er wollte sie gewiss zum Besten halten.
    Doch Konrads Miene blieb ernst. Lange schaute er sie unumwunden an, sodass sie bereits unruhig zu werden begann.
    » Fürchtest du dich nicht, Marie? « , fragte er schließlich.
    » Vor was? «
    » Vor dem Tod. «
    Marie wusste nicht, was sie plötzlich dazu trieb, aber sie legte den leeren Schlauch auf den Boden und setzte sich nun neben Konrad an den Baum.
    » Dazu bin ich ihm schon zu oft begegnet, als dass ich mich noch vor ihm fürchten könnte « , sagte sie, den Blick in den Himmel gerichtet. Es war jetzt dunkel, sternenklar und dazu sehr mild. Der Sommer hatte längst Einzug gehalten, und man hoffte inständig, dass er dieses Mal weniger kalt und weniger feucht verlaufen würde als in den letzten dreißig Jahren.
    » Er ist bei mir « , meinte Konrad nun.
    » Wer ist bei Euch? Der Tod? « Marie löste nun den Blick von den Sternen und richtete ihn auf den Mann an ihrer Seite. Er hatte ein herbes, äußerst markantes Profil. Die Form seiner Nase verriet, dass diese schon gewiss mehr als einmal gebrochen gewesen sein musste.
    » Er kann mir nichts anhaben. Aber laut meinem Mitbruder Crispin und auch laut eurer greisen Maja steckt er in mir. Es ist mein Blick, mein Atem. Weiß der Teufel. «
    Er meinte tatsächlich ernst, was er da sagte. Marie wandte ihre Augen nicht von ihm ab. Sie betrachtete ihn lange. Aber es war nicht der Tod, den sie in ihm erkannte. Im Grunde hörte sie ihm gar nicht richtig zu, sondern genoss allein den Augenblick. Er schien dies zu bemerken und wandte nun auch sein Gesicht dem ihren zu.
    » Du hast wirklich keine Angst? « Seine Stimme klang plötzlich seltsam andersartig. Marie wurde flau im Magen, ihr Herz zersprang ihr in der Brust.
    » Nein « , sagte sie so leise, dass man es kaum hören konnte.
    » Keine Angst vor dem Tod? « , fragte er erneut mit eigentümlich glasigem Blick.
    » Nein « , wiederholte sie nun etwas lauter, aber bebend.
    Längst war überfällig, was nun geschah: Langsam, ganz langsam kamen sie sich näher, vorsichtig schlang Marie ihre Arme um seinen Hals, strich sanft mit der Hand über seinen Hinterkopf und drückte dann ihre Lippen auf die seinen. Er erwiderte den Kuss erst, nachdem sie ihm durch ihr Verhalten die Erlaubnis dazu gegeben hatte. Es war ein wunderbarer, inniger, traumhafter Moment. Und gerade die Tatsache, dass es sich bei dieser leidenschaftlichen Umarmung um einen Todeskuss handeln könnte, machte den besonderen Reiz aus.
    Marie konnte nicht mehr vernünftig denken, sie konnte nicht von ihm ablassen. Aus dem nahen, hell erleuchteten Kloster drangen die Gesänge der frommen Nonnen, die sich zur Komplet, der Schlussandacht, in der Kirche eingefunden hatten. Im Gästehaus, unweit der Weide, unter welcher sie saßen, wartete Maries Ehegemahl Ulrich auf die Rückkehr seiner Frau.
    Und was tat diese?
    Sie hinterging in diesem Moment ihren treuen Mann, sie entweihte mit einem eine tödliche Seuche tragenden Mann den heiligen Boden der Zisterzienserinnen– und sie bereute es währenddessen nicht einen Moment lang.
    Bis tief unter die Wurzel des großen Baumes hatten sie sich bereits gewühlt. Konrad lag mittlerweile auf ihr, sein Kopf an ihrem Hals, und er wanderte immer tiefer und tiefer. Marie genoss es. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie es genossen, mit einem Mann zusammen zu sein. Es war berauschend, die Zeit verging schnell und langsam zugleich, alles um sie herum war verschwommen und eingetaucht in einen Nebel vollkommener Gleichgültigkeit. Nichts bekümmerte sie, nicht die singenden Schwestern, nicht der betrogene Ulrich, nicht die sterbende Lisa– ja, es war Marie sogar herzlich egal,

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