Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
hieß es.
Maja wollte einen Vorrat von diesem Kraut anlegen. Der unglücklichen Lisa würde es kaum mehr helfen, denn bis das Pulver fertig war, wäre Lisas Zeit auf Erden längst verstrichen. Aber für die Übrigen könnte dieses Heilmittel noch von Wert sein.
Die Alte war sich nicht vollkommen sicher, doch sie glaubte zu ahnen, mit welcher Sorte Übel sie es zu tun hatten. Der Schwarze Tod, als solcher erschien er in ihren Träumen, der Volksmund nannte diese Seuche schlicht die Pestilenz. Vor mehr als einem Menschenleben hatte sie zum letzten Male in Majas Heimat gewütet, ihr Großvater hatte in düsteren Farben davon zu erzählen gewusst, und viele der Bilder, welche Maja in ihren Träumen und Visionen erschienen waren, bestätigten diese Befürchtung. War es die Luft, war es das Wasser, oder war es gar die Erde, die diese Seuche hervorbrachte und verbreitete? Man konnte es nicht sagen. Sicher war nur, dass eine Krankheit wie diese niemals nur ein einziges Opfer forderte. Es galt sich zu schützen.
» Vier Elemente « , murmelte Maja, während sie den üppig grünen Boden am Laufe des Baches nach dem Kraut absuchte. » Die Luft bringt den Hauch, das Wasser ist vergiftet, die Erde verseucht. Es bleibt das Feuer. Das Element der Hölle. Ausgerechnet dieses. «
» Das sind in etwa die Worte meines heilkundigen Bruders Crispin. Allerdings drückt er sich etwas gottgefälliger dabei aus. « Konrad von Tiefenbrunn saß nicht weit von Maja und bis dahin von ihr unbemerkt auf einem unbrauchbaren Handkarren.
Die Alte blieb stehen, sie fühlte sich gestört und brummte ein wenig mürrisch.
» Ihr mögt mich nicht besonders, greise Maja « , stellte Konrad schlicht und einfach fest, indem er das Kräuterweiblein eingehend musterte.
Gruselig sah sie aus. Sie war eines von den Weibern, denen man nicht im Dunkeln im Wald begegnen wollte. Aber trotz dieser sagenhaft düsteren Erscheinung und dem stets misstrauischen Gesicht, das sie zog, wenn sie seiner Anwesenheit gewahr wurde, hatte Konrad in letzter Zeit den Eindruck gewonnen, dass diese alte Hexe doch tatsächlich ein guter Mensch war. Sie sorgte sich auf ihre ganz besondere, nicht gerade warmherzige, aber dennoch inbrünstige Weise um die Leute ihrer Gruppe, vor allem um die Kranken. Viele begegneten ihr mit Argwohn, aber das störte sie nicht. Sie blieb, wie sie war, eigentümlich, stur und oft verloren in ihrer eigenen Welt, zu der niemand anderer Zugang hatte. Und so merkwürdig dieses Gebaren auch war: Alles, was sie tat, tat sie wahrlich in guter Absicht, und das sah man in ihren winzigen, von Falten umgebenen Augen. Auch wenn diese sich gerade wieder misstrauisch forschend auf Konrad richteten.
» Es seid nicht Ihr selbst, das ich nicht mag, werter Herr. Es ist vielmehr das, was Ihr uns gebracht habt. «
Ein stechender Schmerz breitete sich plötzlich in Konrads Brust aus. Auch dies hätten wieder die Worte seines Freundes Crispin sein können. Dieser hatte ebenfalls davon gesprochen, dass Konrad seit seiner Begegnung mit der pestkranken Frau nahe Venedig den Hauch mit sich führe.
» Unsinn « , fuhr er barsch die Alte an, die jedoch ob dieses erneut zutage tretenden Jähzorns ungerührt blieb.
» Wo habt Ihr den Tod zum ersten Mal gesehen? « , fragte sie mit ruhiger Stimme.
Konrad stutzte.
Normalerweise hätte er ein zerlumptes, hässliches Weib wie dieses nicht einmal eines Blickes wert gefunden, geschweige denn, dass er sich herabgelassen hätte, ihr eine Frage zu beantworten. Doch diese Alte war anders. Er hatte das Gefühl, dass sie in der Lage war, bis in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele zu schauen. Sie wusste längst alles, es hatte also keinen Sinn zu schweigen oder gar zu lügen.
» Auf Sizilien. Da begann es « , brummelte er folgsam, aber übellaunig, wie ein übernächtigter Klosterschüler, der seinem ihn quälenden Lehrer am liebsten die Gurgel umdrehen würde.
» Und dann? «
» In Apulien, im Süden der italienischen Halbinsel, grassierte es bereits, als wir Sizilien verließen. Das restliche Land, das wir gen Norden durchquerten, war verschont, nicht jedoch Venedig. Dort wütete das Übel sogar ärger als in Messina. «
Konrad ging nicht davon aus, dass dieses schlichte Weib seinen geografischen Ausführungen hatte folgen können, doch da täuschte er sich.
» Die Schiffe « , murmelte Maja mit abwesendem Blick.
» Die Schiffe? «
» Die Schiffe haben es nach Venedig gebracht. Darum war die Mitte Italiens noch
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