Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
anderen Männer neben ihm bedrohlich ihre Äxte schwangen. Es waren zwar lediglich Beile zum Holzhacken, aber geschickt geworfen, hätten sie eine kaum geringere Wirkung als eine Streitaxt gehabt, zumal keiner von ihnen vieren ausreichend bewaffnet oder gar gepanzert war.
Dennoch, Marie streckte erneut den Kopf hervor und fragte: » Sagt mir doch, ob sie noch leben. Wo sind sie? «
» In der Hölle « rief der Alte, und im gleichen Moment flog eine der Äxte auf Maries Kopf zu. Konrad gelang es gerade noch, sie hinter den Baum zu ziehen. Rasch griff er nach dem im Holz steckenden Wurfgeschoss, nahm es an sich und ging mit dieser Waffe langsam auf die drei Männer zu.
Es ging ihm gegen die Ehre, dass ein ausgebildeter Rittersmann sich von drei Bauern in die Flucht schlagen lassen sollte. Doch die Rechnung hatte Konrad ohne die wütenden Ackermänner gemacht: Wie die Berserker rasten sie nun auf ihn zu. Er nutzte das Beil als Keule und schlug einem der Angreifer auf den Schädel, sodass dieser am Boden liegen blieb. Die anderen zwei jedoch, darunter der Alte, hatten ihn nicht nur umkreist, nein, sie waren auf ihn gesprungen. Der greise Kerl saß ihm im Nacken und bohrte seine Finger in Konrads Augen, während der Jüngere nun seine Axt bereit machte, um ihm den finalen Streich zu versetzen. Und wäre dies nicht schon schlimm genug, so kam vom Hof her auch noch Verstärkung hinzu. Zwei äußerst kräftige Weiber und ein Junge von etwa dreizehn Jahren rasten auf die Kämpfenden zu. Sie waren mit Metzgerwerkzeugen bewaffnet, ihre Gesichter von Wut und Trauer verzerrt.
Johann war verletzt.
Regino, wie immer in brenzligen Situationen, untätig.
Also war Marie zum Handeln gezwungen.
So schnell sie konnte, griff sie nach einem großen am Boden liegenden Ast. Er war zwar morsch und deshalb nicht besonders fest, aber durch die Feuchtigkeit in diesem Jahr hatte er sich mit Wasser vollgesogen und taugte deshalb durchaus als Schlaginstrument. Noch bevor der Kerl mit dem Beil zuhauen konnte, spürte er den Ast zwischen den Beinen. Er schrie kläglich auf und taumelte nach hinten. Marie sprang ihm aus dem Weg, ließ ihn passieren und holte erneut aus, um nun dem Alten auf den Kopf zu schlagen. Es gab einen dumpfen Knall, und tatsächlich, der Mann fiel wie ein nasser Sack von Konrad herunter. Doch die Gefahr war nur für den Moment gebannt, denn beide waren lediglich benommen, und die zwei Weiber und der Halbstarke nun ebenfalls herbeigeeilt.
Der Zorn in ihren Mienen verriet, dass Verhandlungen zwecklos waren. Sie hatten sich vorgenommen, diese Fremden zu vertreiben oder aber totzuschlagen wie tollwütige Wölfe, die es wagten, sich in die Nähe des Gehöftes zu schleichen.
Es blieb ihnen nichts als die Flucht, und Konrad schien dies genauso zu sehen. Seine Augen schmerzten, aber dennoch konnte er Maries Umrisse wahrnehmen. Rasch griff er nach ihrer Hand und rannte mit ihr in den nahen Wald davon. Regino, der es zwar vorgezogen hatte, trotz des Angriffs friedlich zu bleiben, hatte seine Feigheit immerhin dahingehend überwunden, als dass er nicht allein geflüchtet war, sondern dem verletzten Johann geholfen hatte, sich vor den rasenden Bauern im Wald zu verstecken. Sie waren längst irgendwo in Sicherheit, als sich auch Marie und Konrad völlig außer Atem und darüber hinaus vollkommen verwirrt in die schützende Kuhle hinter einem entwurzelten Baumriesen warfen.
» Diese Wutentbrannten haben Ulrich und die anderen drei einfach umgebracht « , keuchte Marie, nachdem sie sicher sein konnten, nicht weiter verfolgt zu werden.
» Sie haben sie getötet, oder aber etwas anderes ist ihnen zuvorgekommen « , sagte Konrad, seine verletzten Augen mit Moos kühlend.
Marie wusste, was er meinte. Ihre Gedanken waren bei Ulrich und Maja. Waren auch sie der Pest erlegen?
Konrad drückte weiter das feuchte Moos auf seine Augen und sagte nichts. Ja, es war davon auszugehen, dass die vier verloren waren. Eine Greisin, ein ohnehin geschwächter Bauer und zwei junge Frauen, darunter Konrads Mündel Adelheid. Dahingerafft vom Schwarzen Tod oder aber gemeuchelt von einer aufgebrachten Bauernschar.
Auf die vielen Jahre des Verzichtes, die hinter den Menschen lagen, folgten nun offenbar Zeiten des Verlustes. Wahrscheinlich hatte der alte Einsiedler recht: Man würde sich daran gewöhnen müssen.
Konrad sah nichts, aber er tastete nach rechts und fand Maries Hand. Er drückte sie fest und führte sie dann zu seinem Mund, um sie zu küssen.
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