Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
ihrem nassen Unterschlupf zu bergen.
Ihr Herz raste, sie war nervös und ängstlich, aber dennoch entschlossen.
» Nun beruhigt Euch doch, mein Fräulein. Vier Burgmannen sind längst unterwegs. Sie werden das Mädchen schon finden. «
Kritisch ruhte der Blick der hohen Frau auf Adelheid. Freundlich und hilfsbereit betrug sie sich, aber dennoch verriet ihre Miene, dass die Burgherrin dem unerwarteten und eigentümlich gekleideten Gast nicht wirklich traute.
Es war nicht leicht gewesen, die Wachen zu passieren. Adelheid hatte ihren Stammbaum aufgezählt, beginnend bei einem Edelmann namens Gerhard der Bärtige, welcher als erster Adeliger seines Stammes die heilige Taufe empfangen und Kaiser Karl den Großen bis nach Spanien begleitet hatte. Eine ganze Weile hatte es gedauert, all die Namen, Beinamen und Verdienste bis hin zu ihrem Vater aufzulisten. Doch die Wachen waren unbeeindruckt geblieben, sie hatten lediglich gelacht, das junge Ding für verrückt gehalten und ihr geraten, sich ein wenig mehr anzuziehen, wenn sie nicht in die Hände von Kupplerinnen und Halunken geraten wolle. Dann war zufällig ein Kammerdiener erschienen, dem sie ihre Litanei erneut vortrug, und dieser, stutzig geworden, brachte sie schließlich zur Burggräfin, welcher Adelheid ein drittes Mal ihren Stammbaum präsentierte. Etwas anderes fiel ihr nicht ein, um zu beweisen, dass es sich bei ihr nicht um eine lose Herumtreiberin, sondern um ein in Verzweiflung geratenes Fräulein aus gutem Hause handelte, das dringend Hilfe benötigte.
Und die Gräfin handelte tatsächlich sofort. Umgehend entsandte sie einige ihrer Wachen, um nach der zurückgebliebenen Anna zu suchen. Dennoch war Adelheid weiterhin völlig außer sich. Sie zitterte am ganzen Leibe, wollte keinen heißen Punsch und auch kein Essen annehmen, lediglich eine Decke ließ sie sich reichen und erkundigte sich immer wieder, ob die Männer die Kranke in der Köhlerhütte denn auch wirklich finden würden.
» Meine Leute kennen den Wald in- und auswendig. Sie wissen genau, wo sie suchen müssen « , bestätigte die Gräfin erneut.
Sie war eine Frau mittleren Alters. Äußerst üppig, mit klugen Augen und einem recht schönen Gesicht, in dem lediglich das fliehende Kinn ein wenig störte. Nach Art ihres Standes trug sie eine prächtige, mit Schleiern drapierte Haube und ein wunderschönes dunkelblaues Kleid, welches ihre ausladenden, gesunden Rundungen trefflichst hervorhob. Adelheid hatte es hier mit einer äußerst selbstbewussten Frau namens Mathilde von Neuental zu tun. Als fünftgeborene Tochter eines einflussreichen süddeutschen Grafen hatte auch sie ihre Jugend in einem Damenstift verbracht, bis sie hierher an den östlichen Rand des Reichsgebietes, ins Hügelland der Neiße, an einen Gefolgsmann des Markgrafen von Brandenburg verheiratet wurde. Womit sie zwar nur die Ehegattin eines einfachen Edelmannes geworden war, aber immerhin eines Edelmannes, der so wenig Zeit daheim auf seinem Stammsitz verbrachte, dass seine Frau ein sehr eigenständiges Leben führen konnte. Ja, obwohl es den Grafen von Neuental durchaus noch gab, so war der eigentliche Herr der Burg seine Frau, und diese saß Adelheid nun an einer langen, mit weißem Tuch gedeckten und frischen Blumen geschmückten Tafel gegenüber.
Was für eine seltsame Erscheinung war dieses Mädchen doch.
In letzter Zeit hatten viele komische Gestalten an die Pforten der Burgmauer geklopft und um Einlass gebeten. Meist handelte es sich bei ihnen um Obdachlose, die sich als Pilger ausgaben, um sich somit ein kostenloses Nachtlager bei ihren christlichen Mitmenschen zu verschaffen. Oft hatte man es aber auch mit Flüchtlingen zu tun, die zum Teil den weiten Weg von Konstantinopel bis hierher gefunden hatten: Juden, zum Beispiel, die auf dem Weg ins Reich des Polenkönigs waren, welcher den Anhängern des hebräischen Glaubens sehr wohlgesonnen war. Sie boten äußerst exotischen Zierrat feil, den sich die Gräfin gern ansah, ohne jedoch die Fremden beherbergen zu wollen. Auch die angeblichen Ärzte, die um Einlass gebeten hatten– vier waren es mittlerweile–, nahm sie nicht auf: Sie stammten aus Italien oder Frankreich, priesen ihre Dienste im Baden, Schröpfen und Aderlassen an und wurden umgehend wieder fortgeschickt. Ebenso die gruseligen Geißler sowie andere ketzerische Wandermönche.
So unterschiedlich all diese hilfesuchenden Gestalten auch waren, eines hatten sie gemeinsam: Ausnahmslos sprachen sie von einer
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