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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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sein Handeln wurde damit für die beiden Verfolger in gewisser Weise vorhersehbar. Dennoch hatte er offensichtlich eine Schwachstelle, die sowohl Ulrich wie auch Maja in Erstaunen versetzte, obgleich beide nur zu gut von dieser seiner Obsession wussten.
    Allerdings hatte keiner von ihnen Fipsens Leidenschaft für Marie eine derartige Tiefe zugetraut.
    Manchmal des Nachts, wenn sich der Unhold weit abseits der Geißler zusammen mit seinen Ratten ein Lager errichtete und auch Maja und Ulrich im notwendigen Abstand eine Bleibe suchten, dann konnten sie ihn leise reden, mitunter sogar singen hören. Er sprach zu seinen Ratten, die allesamt den Namen » Liebchen « trugen, und er sprach mit ihnen über Marie:
    » Wisst ihr, meine Liebchen, es ist schön, einen Menschen an seiner Seite zu wissen. Natürlich habe ich auch euch gern, aber ein Mensch ist mir dennoch lieber. Doch glaubt mir, gar nicht mal so leicht ist es, einen Menschen zu finden. Ihr Ratten seid da weniger wählerisch, ihr vertragt euch, ihr paart euch, und wenn ihr einander über seid, dann beißt ihr euch tot und gesellt euch zu dem Nächsten. Wie gern würde ich es auch so machen. Glaubt mir, ich habe es versucht. Wie oft habe ich mir ein verträgliches Mädchen gesucht, mich mit ihr gepaart, sie mit mir genommen, sie beschenkt, und wie oft war ich sie ganz bald wieder satt. Nun, totgebissen habe ich keine, aber loswerden musste ich sie durchaus. Und ähnlich war es auch mit Mariechen. Ja, ich war ihrer überdrüssig. Sie taugte mir nicht mehr. Zu lange habe ich sie Tag für Tag und Nacht für Nacht bei mir gehabt. Aber dass sie so einfach fortläuft, nein, das war mir nicht recht. Wieso?, frage ich euch. Wieso war es mir nicht recht? Wisst ihr, ich glaube, dass ich mich gewöhnt habe an dieses Weib. Sie ist mein Mensch, mein Eheweib und mein Kind zugleich. Sie ist mein Gezücht, sie ist wie ich und dennoch anders, so fern und trotzdem eng mit mir verknüpft. Ihr wisst nicht, wie sehr ich mich dem Tag entgegensehne, an dem wir wieder beieinander sind. Vereint für die Ewigkeit. Vereint in Liebe? Ich weiß es nicht. Dazu muss ich sie ihr erst beibringen, die Liebe. «
    Mehrmals waren die zwei Verfolger Zeugen derartiger Monologe geworden, und jedes Mal war es ihnen beim Zuhören kalt den Rücken heruntergelaufen. Es stand fest, dass dieser Mann besessen von dem Gedanken war, Marie zu finden und zu besitzen. Er würde nicht von dieser Idee ablassen, nicht solange er lebte. Mitunter war Ulrich versucht, dem Widerling sogleich den Garaus zu machen, doch Maja hielt ihn davon ab.
    » Wir brauchen ihn noch. Die Zeit wird kommen « , flüsterte sie dann mit ihrer prophetisch-düsteren Stimme, die Ulrich so gar nicht gefiel, aber dennoch gehorchte er schweren Herzens. Denn Maja hatte recht: Nur Fips kannte den genauen Weg zu ihrem Ziel. Sie mussten sich also noch eine Weile gedulden und ihn weiter verfolgen, bis sie dem schändlichen Dasein dieses Gewissenlosen ein Ende bereiten könnten.
    Seitdem sie ihn nahe der Mühle unweit der Ortschaft Waldenburg beobachtet hatten, war Fips’ Spur verschwunden. Doch das beunruhigte die beiden nicht, wussten sie doch, dass er den Geißlern folgte, und deren Weg war nun einmal gepflastert mit den Toten aus ihrem Zug.
    So auch jetzt. Nicht einmal eine halbe Meile, nachdem sie die letzte Leiche hinter sich gelassen hatten, lag bereits ein weiterer lebloser Körper hinter einem großen Stein verborgen am Wegesrand. Offenbar hatte der Leidende dort Schutz gesucht, bevor er den Tod fand, den Tod– und das stand für Ulrich und Maja erneut fest– durch die Beulenpest. Soeben schritten sie von dem Stein zurück auf den Weg, der hier, im gut erschlossenen nördlichen Teil des Riesengebirges breit genug war, um mit einem Gespann befahren zu werden, als sie die Hufe von mehreren Reitern auf sich zudonnern hörten.
    » Die haben es eilig. Gehen wir besser beiseite « , rief Ulrich hastig und zerrte seine Gefährtin zurück ins Gras, wo sie beide durch den Schreck unsanft auf ihre alten, knochigen Hinterteile plumpsten.
    Die sechs Rösser passierten sie zunächst im Eiltempo, wurden aber alsbald abrupt zum Stehen gebracht und gewendet. Man ritt auf die beiden im Gras hockenden Gestalten zu.
    » Sind wir hier richtig? Wir wollen so rasch wie möglich die Burg Neuental, westlich der Neiße in der Markgrafschaft Brandenburg, erreichen « , fragte einer der Reiter, ein Hüne mit buschigen Brauen.
    » Burg Neuental? Kenn ich nicht « ,

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