Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
leicht wölbende Bauch wies darauf hin, dass ein Kind unter ihrem Herzen heranwuchs.
Marie ließ sich nichts anmerken. Sie litt still, sprach kein Wort mit den anderen über das Verschwinden Konrads. Und auch sich selbst versuchte sie zu täuschen, indem sie sich vormachte, all das kommen gesehen zu haben und längst darauf vorbereitet gewesen zu sein. Allein ihr körperlicher Zustand, als Spiegel ihrer Seele, zeugte von dem, was wirklich tief in ihrem Inneren vor sich ging.
Wie ein Lump hatte er sich aus dem Staub gemacht. Zusammen mit fünf weiteren Rittern war er noch in der Nacht auf und davon, in der er ihr zuvor seine Liebe gestanden hatte. Leere Worte waren das gewesen, vergessen, sobald sich ihm die Möglichkeit geboten hatte, in ein neues Abenteuer aufzubrechen. Wahrscheinlich dachte er nicht einmal mehr an Marie. Doch sosehr Marie sich auch wünschte, zornig auf ihn zu sein und die Erinnerung an ihn langsam verblassen zu lassen– es gelang ihr nicht. Sie litt entsetzlich, und es war nicht die Schwangerschaft– auch wenn sie sich das selbst weismachen wollte–, die sie davon abhielt zu schlafen und Nahrung zu sich zu nehmen.
Welches Glück war es doch, dass sie in Johann und Regino zwei treue und anständige Begleiter an ihrer Seite hatte. Rührend kümmerten sie sich um die Frau, die ihnen doch eigentlich nur ein Klotz am Bein sein musste, war sie doch schwanger von einem ganz anderen Mann. Sie wären nicht verpflichtet gewesen, sich um Marie zu sorgen, taten es aber dennoch, weil es der Anstand gebot. Ein Anstand, der dem Vater des Kindes, trotz all seiner zur Schau getragenen Ritterlichkeit, offenbar fehlte.
Auch jetzt waren die beiden wieder unterwegs, um für Marie frisches Brot aufzutreiben. Es war ihr unangenehm, dass sie derartige Mühen und Umwege auf sich nahmen, doch Regino und Johann hatten sich nicht aufhalten lassen, nachdem Marie an diesem Morgen endlich wieder ein wenig Haferschleim gegessen und daraufhin lapidar geäußert hatte, dass sie sich schon darauf freue, bald wieder richtiges Brot essen zu können.
Sie waren dem Ende ihrer Reise schon sehr nahegekommen. Der Herbst hielt Einzug, und in den Nächten wurde es mitunter bitterkalt. Besonders hier in den Erhebungen des Altvatergebirges, dessen westliche Ausläufer sie endlich erreicht hatten, schien der Frost seine Heimat zu haben. Es war eine berauschend schöne, weil so unwirtliche und märchenhafte Landschaft, in der es nur so von Wölfen, Luchsen und auch Bären wimmelte. Eine Gegend, die auf den Menschen faszinierend wirkte, in der er sich aber dennoch bloß als geduldeter Gast, als Durchreisender und staunender Beobachter fühlen durfte. Marie konnte sich kaum vorstellen, dass man hier dauerhaft leben konnte, aber da täuschte sie sich: Tiefe, dunkle Wälder, schroffe Felsen, steile Schluchten und weite Sümpfe wechselten sich ab mit immer wieder wie aus dem düsteren Nichts auftauchenden Siedlungen. Emsig betriebene Bergbaudörfer zumeist, in denen man außer nach Erz und Salz auch nach Gold grub.
In diesen winzigen Orten wurde man freundlich empfangen. Die Leute– viele von ihnen deutsche Siedler, die schon in der dritten oder vierten Generation in dieser Gegend lebten– waren aufgeschlossen und interessiert an den Neuigkeiten, die die Fremden brachten. Und die drei wiederum konnten von ihnen nützliche Bergbaukenntnisse in Erfahrung bringen.
Wie legte man einen Stollen an? Wie sicherte man ihn? Welches Werkzeug benötigte man? Wie stellte man es her?
Wie trennte man das Gold vom Stein? Wie schützte man sich vor einsickerndem Wasser? Wohin verkaufte man das geförderte Gut?
Trotz der eigenen Neugierde und trotz der Gastfreundlichkeit der meisten Grubenleute blieben Regino, Johann und Marie dennoch stets vorsichtig und versuchten, nicht zu viel über ihr Ansinnen zu verraten. Sie wussten, dass der von ihnen fortgeführte Plan von Vitus Fips kein rechtmäßiger war. Die Höhle, welche sie suchten, gehörte ihnen nicht, sie war bislang unentdeckt, sodass sie darauf bedacht sein müssten, dort heimlich zu graben. Um sich nicht versehentlich zu verplappern, zogen sie es deshalb meistens vor, ihr Lager abseits menschlicher Behausungen aufzuschlagen.
So auch an diesem Tag, an welchem sie etwa zwei Tagesmärsche von ihrem eigentlichen Ziel entfernt in einer recht kompakten, aber winzigen Blockhütte, die gewiss Jägern oder Holzfällern bei schlechtem Wetter als Unterschlupf diente, ein Lager fanden.
Marie war müde. Die
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