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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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dass es in den Osten ging, dass die Weser und dann die Elbe zu überqueren waren, war das Einzige, was ihm bekannt war. Der nahe Weserfluss stellte für ihn die östlichste seiner bislang tatsächlich ausgekundschafteten Grenzen dar. Er war also trotz seiner jahrelangen Umtriebigkeit noch immer ein Grünschnabel, zumindest im Vergleich zu dem weltkundigen Rheinländer. Ja, im Grunde war Regino von Bunseborn sich nicht einmal im Klaren darüber, was ihn und die von ihm zusammengesuchten Leute am Ziel ihrer Träume erwartete, er wusste nicht, ob das, was er den Menschen versprechen sollte, vor Ort auch eintreffen würde– ahnte jedoch, dass der Rheinländer ihm gewiss das eine oder andere verschwiegen hatte.
    Doch weil er der festen Überzeugung war, ein Glückspilz zu sein, in dessen Leben sich alles stets zum Guten fügte, würde es auch dieses Mal so sein, und darum versuchte er, keine Zweifel an sich und seinem Gelingen aufkommen zu lassen. Der Marsch war weit, es konnte noch viel geschehen, und dabei dachte Regino nicht unbedingt an schlimme Dinge. Nein, unerwartete gute Wendungen könnten auf sie allesamt zukommen und sie unversehrt ans Ziel ihrer Träume führen, wo ein jeder zufrieden und vielleicht auch reich werden könne.
    Bis dahin jedoch würde Regino sich strikt an die Abmachungen halten, welche er mit dem Rheinländer getroffen hatte. Zumindest würde er es versuchen. Alles Weitere würde sich ergeben, und auch wenn Regino bei der Zusammenarbeit mit dem zwielichtigen Narbengesicht unwohl war, so könnte sich selbst dieses Verhältnis schlussendlich in Wohlgefallen auflösen. Gut war zumindest, dass er den unangenehmen Kerl, der auf eigene Faust und allein unterwegs sein wollte, nicht täglich vor Augen haben müsste, so konnte Regino sich wenigstens als alleiniger Anführer und Kopf des Unternehmens fühlen. Und das allein bereitete ihm schon großes Behagen. Ja, er, der Hoffnungsträger einer ganzen Meute Landsuchender, welche ihm blind durch ein ihm selbst unbekanntes, raues Land folgten. Diese Vorstellung berauschte ihn und bereitete ihm zugleich– er konnte nichts dagegen machen– dieses unangenehme Kopfzerbrechen.
    Denn irgendwie taten sie ihm leid, diese armen Unwissenden. Und weil er neben seiner Vorfreude auch durchaus Mitgefühl verspürte, war Regino schon gleich zu Anfang von einem der vereinbarten Punkte des Plans abgewichen. Und zwar von einem Punkt, der dem Rheinländer äußerst wichtig gewesen und auf den er Regino immer und immer wieder hingewiesen hatte. Doch darüber wollte der Gaukler nicht weiter nachdenken.
    Denn es blieb keine Zeit mehr zu warten und zu zaudern. Der Stein war bereits ins Rollen gebracht. Es gab kein Zurück mehr.
    Aus dem ihm von seinem Auftraggeber empfohlenen Dorf, in welchem Regino so gekonnt sein Lied gesungen, seine Rede gehalten und seine Urkunde verlesen hatte– übrigens auswendig vorgetragen, da er des Lesens nicht kundig war–, bereits aus ebendiesem Dorf hatten sich ihm nicht weniger als acht Leute angeschlossen. Allesamt jung, frisch und brauchbar. Ganz so, wie der Rheinländer es wünschte.
    » Meister Regino, berichtet mir. Beim Kloster Corvey, da war ich schon einmal. Doch was hinter dem großen Weserstrom liegt, das konnte ich nur erahnen. Wie sieht es dort aus? «
    Der Bursche hatte auf ihrem gemeinsamen nächtlichen Gang noch nicht ein einziges Mal den Mund gehalten. Zwar war auch Regino von der redseligen Sorte Mensch, aber im Moment wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie möglichst rasch aus dem Gebiet des Grundherrn dieser entführten Seelen herauskamen– und zwar ungehört und ungesehen. Er hatte den jungen Leuten keine Angst machen wollen und ihnen vorgegaukelt, sein Werben sei mit dem Ritter abgesprochen gewesen, doch er hatte ihnen auch weismachen können, dass es besser war, sich zu beeilen, bevor es sich ihr Landgeber anders überlegte, denn immerhin handelte es sich bei ihnen nicht um die Schwachen, Kranken, Alten und Entbehrlichen, sondern vielmehr um die kraftvolle Zukunft einer Dorfgemeinschaft. Doch obwohl er ein wenig nervös und ihm die Fragerei des Burschen Johann lästig war, blieb Regino dennoch Gaukler genug, um sich nichts anmerken zu lassen. Freundlich, ja fröhlich gab er dem Jungen Antwort:
    » Blühende Landschaften erwarten dich dort, guter Johann. Zwar sind Grund und Boden längst verteilt, doch haben die Lehnsherren so viel davon und ihrer selbst sind so wenige, dass sie einen jeden, der zu ihnen kommt, mit offenen

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