Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
durchquerte er die Stube von der Hintertür aus, und sein Blick fiel sofort auf die neu eingetroffene Frau des sturen Bauern, an welchen er sich noch gut erinnerte. Besser jedoch erinnerte er sich an sie– an Marie.
Da war sie nun also doch.
Vom ersten Moment an, als er sie auf dem Dorfplatz unter der Linde inmitten all der anderen Leute gesehen hatte, hatte Regino gewusst, dass es diese Frau sein musste, nach welcher er insbesondere suchen sollte. Es war der eindringliche Wunsch von Vitus Fips gewesen, und den hatte dieser kürzlich bei ihrem nächtlichen Zusammentreffen im Wald noch einmal bekräftigt.
Regino ahnte nur, weshalb er nach dieser Frau Ausschau halten und sie dann mit sich nehmen sollte. Fips hatte nie ein Wort über die Gründe fallen lassen, und der Gaukler hatte auch nie gewagt, danach zu fragen, aber es lag auf der Hand, dass Fips ein Auge auf sie geworfen hatte, dass sie vielleicht einst sogar sein Liebchen gewesen war und es den unansehnlichen Strolch danach gelüstete, die schöne Frau wieder zurückzuerobern. Darum sollte Regino ausgerechnet in ihrem Dorf werben, auch sie anlocken, und erst am Ziel ihrer Reise, im Altvatergebirge, sollte es dann ein Zusammentreffen mit ihrem heimlichen Verehrer geben. Natürlich war dieser Plan abstrus, und Regino bezweifelte, dass eine Frau wie Marie sich freiwillig in die Arme eines hässlichen Widerlings wie Vitus Fips stürzen würde. Doch das Leben hielt immer Überraschungen bereit. Und warum sollte man diesen Überraschungen nicht die Möglichkeit bieten, sich zu ereignen? Zwingen wollte er die Frau jedoch nicht zu ihrem zweifelhaften Glück, und deshalb hatte der Pfeifer es vorgezogen, sie eine Entscheidung aus freien Stücken fällen zu lassen. Er wusste, dass dies Fips erzürnen würde– und das hatte es zweifelsohne, wie im Wald deutlich geworden war–, doch nun, da das Glück dem offenbar vom Himmel gesegneten Regino wieder hold war und sie tatsächlich ganz von sich aus den Entschluss getroffen hatte, ihm zu folgen, würde auch Fips sich wieder beruhigen.
Ja, das Glück. Wenn auf eines im Leben des Gauklers aus dem kleinen Bauerndorf im Weserbergland Verlass war, dann auf das Glück. Und wer konnte so etwas schon von sich behaupten? Keine Kaiser, Könige, Päpste und Bischöfe dieser Welt waren mit einem derartigen Geschenk gesegnet.
» Ein neues Gesicht! « , rief Regino nun lustig aus und verneigte sich vor Marie. » Wo ist Eure Begleitung, feine Dame? « Er blickte sich, einem aufgeregten Gockel gleich, in der verrauchten Gaststube um. An den Bauern Ulrich dachte er dabei weniger, er suchte vielmehr in der Menge nach dem unliebsamen Gesicht von Vitus Fips. Immerhin konnte es auch sein, dass dieser Marie selbst aufgesucht und hergebracht hatte. Doch das wäre Regino nicht recht gewesen, war er doch um jeden Tag froh, an dem er nicht in die gruselige Fratze dieses unberechenbaren Halunken blicken musste.
» Allein bin ich gekommen, um mich dir anzuschließen, Pfeifenmann « , antwortete Marie. Sie musste fast brüllen, so laut war der Gesang der sie umgebenden übrigen Gäste.
» Ein Weib ganz allein? Nun, die Welt steckt voller Wunder. Du gehörtest zu einem alten Bauern, soweit ich mich entsinne. « Regino tat absichtlich so, als erinnere er sich nur schwach.
» Er hat mich ziehen lassen. Selbst ist er zu alt, um einen Neubeginn zu wagen. «
» Du bist also vollkommen ohne Begleitung? Ohne deinen Gemahl und auch ohne… « , er räusperte sich, » …auch ohne jemand anderen? «
» Niemand ist bei mir. Nimmst du mich dennoch auf in deinem Zug? «
Regino musterte sie erneut mit diesem leicht mitleidigen Blick, den er ihr bereits in ihrer Bauernkate zugeworfen hatte.
Doch dann besann er sich und grinste breit.
Was kümmerte es ihn? Wenn das Vögelchen, obwohl man es gar nicht zu fangen trachtete, von selbst in den Käfig flog, war es dann eine Sünde, wenn man die Klappe hinter ihm schloss?
» So, dann hat dein Gemahl dich ziehen lassen. Einen wahrhaft guten Mann hast du da geheiratet « , lachte Regino nun. » Was hat er dir zum Abschied mit auf den Weg gegeben? Sagte er: ›Lebe wohl, gutes Weib, mache dir ein feines Leben, ich bleibe derweil da, bestelle die Felder, bereite mir mein Essen selbst und wärme mir allein die Bettstatt‹? Auf Gottes Erde, meine Liebe, finden sich nur wenige solch verständnisvolle Seelen. Ich hoffe, du wirst ihn für den Rest deines nun gewiss besseren Daseins in dein Gebet einschließen. «
Marie
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