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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Solling seien unpassierbar geworden und man könne sich leicht verlaufen. Doch auf dieses Geschwätz gebe ich nichts. Es ist Frühjahr, der Wildwuchs noch überschaubar, und mit mir habt ihr einen kundigen und findigen Leitwolf, der euch sicher durch sämtliche wirtlichen wie unwirtlichen Gegenden lenkt. Kommt, meine Lieben, wir haben keine Zeit zu verlieren. «
    » Na, da bin ich gespannt « , murmelte Johann und rückte seine Kappe zurecht, während er Marie ein Lächeln zuwarf. Diese beeilte sich, zu ihm aufzuschließen, denn obgleich sie am gestrigen Abend allesamt miteinander gefeiert hatten, war Johann an diesem Morgen der Einzige aus der hier reisenden ernüchterten Dorfgemeinschaft, der ihr in die Augen sah und mit ihr redete. Alle anderen sprachen zwar leise über sie, hüteten sich jedoch, mit ihr zu sprechen. Dennoch war die Stimmung gut, allesamt waren sie frohen Mutes, ihre Mägen gefüllt, ihre Kleider getrocknet, der Himmel strahlte ausnahmsweise blau, die Sonne spendete eine angenehme Wärme, und das Zwitschern der Vögel lud geradewegs dazu ein, auf Wanderschaft zu gehen.
    Fritz und Gustav schienen besonders guter Dinge zu sein. Die beiden Burschen nutzten jede Gelegenheit, auf Bäume zu klettern und im Zickzack über Zäune zu springen. Nicht einmal als der lange Josef sie mit seiner ruhigen, tiefen Stimme ermahnte, ihre Kräfte zu schonen, hörten sie damit auf. Wie zwei junge Pferde, die man nach einem langen Winter auf die Weide lässt, versuchten sie so viel aufgestaute Energie wie möglich loszuwerden, während es Lisa und Anna vorzogen, über Marie zu flüstern.
    » Meine verstorbene Mutter hat es immer gesagt, dass die nichts taugt. Das sieht man an ihrem Blick « , meinte Anna.
    » Hat den armen Filzhut einfach zurückgelassen. Der arme Kerl. Jetzt ist er ganz allein « , sagte Lisa.
    » Naja « , erwiderte Anna traurig. » Auch ich habe meine kleinen Geschwister einfach mit dem Stiefvater zurückgelassen. «
    » Aber du hattest Grund zu gehen, Anna. Wer hält es schon bei einem solchen Lüstling wie deinem Stiefvater aus? Gerade jetzt, wo deine Mutter nicht mehr da ist seit dem Antoniusfeuer! « Lisa strich der betreten zu Boden blickenden Anna über den Rücken. » Die da ist ein ganz anderes loses Ding. Der ging es doch nicht schlecht beim Filzhut. So ein braver, fleißiger Mann. Keiner Fliege tut er was zuleide, und dennoch läuft sie ihm davon. Ob es wegen dem Johann ist? «
    » Mag sein « , sagte Anna und hob wieder den Kopf, um Marie und Johann zu beobachten, wie sie einträchtig vor ihnen daherschritten. » Mein Stiefvater sagt immer: Auf alten Stuten lernt man das Reiten. «
    Beide Mädchen begannen zu kichern.
    Es war wahrlich ein angenehmer Marsch. Zwar führte der Weg bereits nach kurzer Zeit aus dem Wesertal hinaus steil bergan, aber sie alle waren jung und kräftig genug, um unbeirrt weiterzugehen. Zunächst passierten sie zahlreiche Felder und Wiesen, Äcker und Dörfer, der gefürchtete Sollingwald zeigte sich nur gestutzt und zurückgedrängt am Rande des Weges und fehlte mitunter ganz. Von Wüstenei konnte also nicht die Rede sein. Doch nach wenigen Meilen änderte sich dieses Bild. Der alte Mann auf der Brücke hatte die Wahrheit gesagt, als er meinte, der Wald hole sich zurück, was ihm der Mensch in den letzten zweihundert Jahren geraubt hatte. Zunächst erkannte man es an der Beschaffenheit der Wege: Sie wurden schlechter, auch wenn man ihnen noch ansah, dass sie einst breit und fest angelegt worden waren. Mitunter waren ganze Teile des Pfades seitlich abgerutscht, es taten sich Spalten auf, über die man hinwegspringen musste, und an manchen Stellen wuchsen gar Sträucher und ganze Birkenbäume mitten auf dem Wege.
    » Wie gut, dass wir kein Gespann mit uns führen! « , kommentierte Regino immerzu fröhlich. Es war ihm ein Anliegen, die schwindende gute Stimmung seiner Leute wieder aufzuhellen, auch wenn er selber nicht mehr ganz sicher war, wohin er sie denn nun eigentlich führte. Er hatte am späten Nachmittag vollkommen die Orientierung verloren, ließ sich dies aber nicht anmerken und stapfte singend mit seinen riesigen Schnabelschuhen durch Matsch und Schlamm, sprang wie ein Grashüpfer über Wurzeln und Rinnsale und erweckte ganz den Eindruck, schier magisch von einem bestimmten Ziel angezogen zu werden.
    Es dämmerte bereits, als er plötzlich einen spitzen Schrei von sich gab. Es war ein Laut des Entzückens– oder vielmehr der Erleichterung. Regino jedoch

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