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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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nicht mehr sicher, ob auch das ihr Werk gewesen war.
    Für einen kurzen Augenblick war sie versucht, ihm die Hand zu geben, so wie sie es lange Jahre getan hatte. Mehr als zwanzig lange Jahre. Doch dann besann sie sich, schüttelte die aufkeimende, alte Gewohnheit ab und griff stattdessen neben sich an die äußere Hauswand. Dort, so wusste sie trotz der Dunkelheit, stand die rostige Sense Ulrichs. Es galt nun das vor einem Jahr begonnene Werk zu vollenden. Ihr blieb keine andere Wahl.
    Flink und mit einer Kraft, die man einer mageren Frau wie ihr niemals zugetraut hätte, nahm sie das Schneidegerät, holte damit aus und hätte ihn sicherlich mit Schwung an der Seite getroffen, wenn er nicht nach hinten ausgewichen wäre. So hieb sie in den morschen Türrahmen, wo die Sense schwankend stecken blieb.
    Ulrich– noch immer in der Hütte– schrie auf. Er war entsetzt, ratlos.
    Der Gast jedoch begann zu lachen.
    Es war ein unwirtliches Bild, was sich der verwirrten Marie dort im nur spärlich beleuchteten Inneren der Bauernkate bot. Einen Moment lang verharrte sie auf der Stelle, sie stand draußen in der Finsternis, und nur die langsam auspendelnde Sense trennte sie noch von dem Menschen, der sie nun mit dem verbliebenen Zeigefinger seiner rechten Hand ins Haus zu locken versuchte.
    » Leb wohl, Ulrich! Gib auf dich acht « , rief sie plötzlich mit erstickter Stimme. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte in die regnerische Nacht davon.
    Vitus Fips folgte ihr nicht. Noch nicht.
    Inständig betete Marie, dass er dem treuen Ulrich Filzhut kein Leid zufügen möge.

VII
    E s gefiel Johann gar nicht, wie die Reise, auf welche er sich frohen Mutes eingelassen hatte, begann. Am Mittag des folgenden Tages hatte der zerlumpte, hungrige Trupp die Mauern der Stadt Höxter passiert. Einem Wunder kam es gleich, dass der Wächter sie einließ, hatte er sie doch anfänglich für Geißler gehalten, so schäbig und heruntergekommen sahen sie aus. Ganz jedoch stimmte das nicht, denn einer aus ihren Reihen erschien vielmehr wie das blühende Leben: Regino von Bunseborn hatte es doch tatsächlich fertiggebracht, die mehr als zwei Meilen weite Strecke ohne Blessuren, müde Knochen, verschmutzte Kleider und zerschundene Füße hinter sich zu bringen. Und nicht nur das, er sprühte nach ihrer Ankunft auf dem Markt der Weserstadt so vor Kraft, dass er dort sogar noch ein Schauspiel aufführte und unter Verwendung verschiedener Stimmlagen sowie in Reimen die Geschichte eines Bauernlümmels namens Helmbrecht preisgab, der sich für etwas Besseres hielt, Vater und Mutter verließ, unter die Raubritter ging und schließlich aufgeknüpft an einem Baume endete.
    Wie unangebracht passend war doch diese Geschichte, dachte Johann bei sich, während er müde auf einem leeren Fischfass Platz genommen hatte, den Worten Reginos lauschte und dabei den unverschämt herrlichen Duft frischer Backwaren einsog, welche am Stand neben ihm feilgeboten wurden, aber leider für ihn und seinen knurrenden Magen unerschwinglich waren.
    Auf einen Halunken hatten sie sich eingelassen. Dieses ungute Gefühl hatte sich Johanns bemächtigt, seitdem sie im Wald auf diesen zwielichtigen Vitus Fips gestoßen waren, bei dem es sich ganz gewiss um einen Spießgesellen Reginos handelte. Ja, ein Lügner und Betrüger war dieser Regino von Bunseborn, der sich nun nicht einmal mehr schämte, vom traurigen Schicksal eines jungen Mannes zu berichten, der ebendas gewagt hatte, wozu Regino die unwissenden Dörfler selbst zu überreden versuchte, nämlich ihre Scholle, ihre Heimat, ihren Grundherrn zu verlassen, um andernorts ein besseres, prächtigeres Wohlleben zu führen.
    » Letzten Endes werden auch wir hängen « , murmelte Johann matt und all seines ihm eigenen Frohsinns beraubt vor sich hin, während die zwei Jüngsten unter den Dorfburschen, Wilhelm und Gustav, auf Reginos Anweisung hin begannen, ihre Kappen zu nehmen und darin Geld von den umstehenden Zuhörern einzusammeln. Selbst bis hin zu Johanns Platz auf der Tonne zwischen dem Marktstand des Bäckers und des Weserfischers war mit einem Mal das Klirren der Münzen zu vernehmen. Ein helles, freundliches Geräusch war das, und es trug umgehend dazu bei, die Miene des betrübten Johann wieder aufzuhellen: So übel schien dieser Gaukler Regino doch nicht zu sein, zumindest verstand er es, mit seiner Schaustellerei die Beutel für sich und hoffentlich auch seine Anhängerschaft zu füllen. Im Nu deuchten Johann die

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