Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
sie sich um, während sie den steilen, noch verschneiten, rutschigen Pfad bergan ritten. Crispin hingegen beeilte sich, Konrads Ross am Zügel nehmend, kehrtzumachen und an dem Bachlauf, welchen sie bislang entlanggekommen waren, zurückzureiten.
Sicherlich wäre es Konrad lieber gewesen, einfach tot vom Ross zu kippen und die schroffen Hänge der Alpen hinunterzufallen, als den unehrenhaften Strohtod zu sterben. Doch Crispin behagte die Vorstellung nicht, den kranken Freund weiter zu quälen. Er wusste, welch schlimmes Leid Konrad in den nächsten Stunden bevorstand, und er wusste auch, wie er als treuer Freund diesem Leid auf wahrhaft ritterliche Weise ein Ende bereiten würde.
Für Johann und seine Kameraden aus dem Dorf bedeutete der erste Fuß, den sie auf die steinerne Weserbrücke in Höxter setzten, ein Schritt in eine neue Welt. Zum Markt in die Stadt war ein jeder von ihnen ab und an einmal gefahren, aber den Fluss überquert hatte bislang keiner von ihnen, und niemand wusste, was sie hinter dem breiten Strom erwartete.
Marie hingegen machte sich derlei Gedanken nicht. Weniger andächtig als vielmehr ungeduldig, hatte sie es kaum erwarten können, endlich den Brückenzoll zu entrichten, um die Reise, oder besser ihre Flucht, fortzusetzen.
Schweigsam war ihr Anführer an diesem Morgen, Regino wirkte fahrig, beinahe wären ihm die Münzen, welche er dem Zöllner überreichen wollte, hinunter ins Wasser gerollt, im letzten Moment hatte er sie mit dem Fuß aufhalten können und dabei äußerst gequält aufgelacht und linkische Bewegungen mit den Armen vollführt. Fast wünschte er sich, der schreckliche, aber erfahrenere Fips wäre nun doch in der Nähe, denn mit dem Erreichen der anderen Weserseite würde auch den vollmundigen Gaukler Regino nun Neuland erwarten. Ja, er war aufgeregt und gar nicht mehr so sehr davon überzeugt, stets auf glückliche Fügungen hoffen zu dürfen.
» Wie durchquere ich am geschicktesten den Solling, Brückenwärter? « , raunte er nun dem Mann zu, der missmutig in seinem kleinen Holzverschlag saß und die Gebühren der Ein- und Ausreisenden einstrich. Regino sprach absichtlich leise, damit seine Gefolgschaft seiner Unsicherheit und Orientierungslosigkeit nicht gewahr wurde.
» Den Solling durchqueren? Am geschicktesten? « , so leise Regino gesprochen hatte, so laut schrie der Zöllner. Hektisch klopfte sich der Pfeifer mit dem Finger an den Mund, doch der Mann in seinem Häuschen schien diese Geste nicht zu verstehen. » Dann solltest du dir rasch Flügel wachsen lassen und über diese sumpfigen Hügel hinwegfliegen. So durchquert man den Solling am geschicktesten. « Grölend lachte er über seinen eigenen, wenig komischen Scherz und versuchte auch die Zustimmung der wartenden Menschen zu erheischen, die bereits eine lange Schlange vor seinem unbeliebten Stand bildeten.
» Da wird es zunehmend wüster « , meldete sich nun ein altes Männlein zu Worte, welches hinter Regino stand.
» Wüster? « , fragte dieser fast erschrocken.
» So ist es, mein Herr. Meine Familie und ich, wir sind selbst von dort hierher in die Stadt gezogen. Es war kein Aushalten mehr. «
» Warum? «
» Unsere Väter und Großväter vollbrachten große Leistungen, als sie dem Wald und dem Moor Land streitig machten. Zahlreiche Ernten fielen prächtig aus. Noch zu Lebzeiten meines Vaters war es so. Aber dann holte Mutter Natur sich ihr Recht zurück. Immer mühseliger wurde es, ihrem Wiedereinzug zu trotzen. Und als vor sechs Sommern die Sintflut über uns hereinbrach, da sind viele Orte im Solling zerstört worden, ihre Bewohner gegangen und nicht wieder zurückgekehrt. Nur noch Holzfäller, Köhler und Sonderlinge sind dort unterwegs. Gott will nicht, dass man in dieser Gegend siedelt. Gott will es nicht. Und dem Willen des Herrn muss man sich beugen. «
» So ist es. Und jetzt haltet die Klappe, zahlt euren Obolus und versperrt mir nicht die ganze Brücke « , mischte sich der mürrische Zollmann ein.
» Ich will nicht siedeln, ich will nur hindurch bis Goslar « , rief Regino dem alten Männlein zu, während er bereits auf dem Weg über die Brücke war.
» Folgt einfach den Pfaden, die nicht zerstört sind « , antwortete der Alte, müde abwinkend.
» Gibt es Probleme? « , fragte Marie ihren Anführer, als dieser seine Gruppe schließlich am anderen Ufer der Weser um sich versammelte.
» Ach was « , erwiderte Regino gut gelaunt. » Man wollte mir Angst einjagen, die Wege durch den
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