Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
stockte der Atem. Sie lief über und über rot an. Der Gaukler machte sich lustig über sie, aber gleichzeitig lag hinter seinen ironischen Worten die bittere Wahrheit verborgen. Sie war ein untreues, gewissenloses Ding, das zu seinem eigenen Wohle seinen alternden, hilfsbedürftigen Mann verlassen hatte. Betreten blickte Marie zu Boden und wurde im nächsten Moment gegriffen und herzlich umarmt.
» Na, dann: Willkommen! « , rief Regino und drehte sich mit der vollkommen benommenen Marie, die er fest umschlungen hielt, im Kreise. » Der fröhliche Reigen kann nun beginnen! «
Zusammen mit den übrigen Reisenden, von denen sich vor allem Wilhelm der Stotterer vor Trunkenheit kaum mehr auf den Beinen halten konnte, tanzten sie zwei weitere Stunden lang bis tief in die Nacht hinein. Und tatsächlich gelang es Marie, den zurückgelassenen Ulrich für einige Momente zu vergessen.
V III
Tirol, fünf Tage nach dem Aufbruch aus Venedig, im März 1348
K onrad von Tiefenbrunn war bereits als Kind größer und kräftiger gewesen als seine Freunde. Nie hatte eine Krankheit ihn ernsthaft in Gefahr bringen können. Wie alle kleinen Jungen und Mädchen, ob adeliger oder bäuerlicher Herkunft, war er immerzu mit einer Rotznase herumgelaufen, hatte des Winters stets gehustet– aber Schlimmeres war daraus niemals erwachsen.
Als sein schwächlicher Bruder wegen Pocken fiebernd darniederlag und beinahe gestorben wäre, hatten die kleinen Pusteln auch Konrads achtjährigen Körper bedeckt, doch dieser hatte sich dadurch nicht vom Tollen auf dem väterlichen Gut abbringen lassen, auch wenn ihm das Jucken ordentlich lästig wurde. Verwundungen und Knochenbrüche, ja, die hatte es zuhauf in Konrads Leben gegeben, aber niemals war er von einem schweren Leiden befallen worden, das dem Innern seines Körpers entsprungen war.
Nun jedoch– er zählte fünfunddreißig Jahre– fieberte auch er zum ersten Male in seinem Leben heftig. Sie waren vier Tagesreisen von Venedig entfernt gewesen, als es begann, und Konrad hatte versucht, den Schüttelfrost, der ihn immer und immer wieder packte, zu ignorieren, hatte die Kopf- und Gliederschmerzen verdrängt, sie als durch den Gewaltritt verursachten Kater ansehen wollen. Doch jetzt, einen Tag später– sie hatten ihr Etappenziel, die Ordensballei in Bozen, bereits hinter sich–, konnte er seinen schlechter werdenden Zustand vor den Gefährten nicht mehr verbergen.
Längst ahnte er, was dieses Unwohlsein zu bedeuten hatte. Längst wäre es Zeit, sich auf das Äußerste gefasst zu machen. Doch ganz so, wie es in den schrecklichsten Momenten des Lebens stets zu sein pflegte, wollte Konrad nicht wahrhaben, was ihm offensichtlich bevorstand. Er wollte nicht. Vielmehr betete er zu Gott, lediglich einer schweren Erkältung anheimgefallen zu sein.
» Wir sollten eine Rast einlegen, Konrad. Du siehst elend aus. « Auch aus Crispins Augen sprach böse Ahnung, als er seinen auf dem Pferderücken schwankenden Freund betrachtete. » Friedrich « , rief er dem jungen Ritter zu. » Reitet ihr drei Übrigen vor. Findet eine Herberge in einem der nächsten Dörfer. Wartet dort. Sollten wir in zwei Tagen nicht bei euch sein, sucht nicht nach uns, sondern zieht weiter zur Marienburg. «
Friedrich nickte. Er hatte verstanden, denn auch dem jungen Ritter war in Messina und bei Venedig nicht verborgen geblieben, wie das Leid begann, welches in Italien bereits als » das große Sterben « bezeichnet wurde. Der sonst so kluge Konrad war diesem sterbenden Weib zu nahe gekommen, ihr letzter Hauch musste ihn vergiftet haben, denn er sah wahrlich elend aus.
» Wo werdet ihr unterkommen? « , fragte Friedrich Crispin, während er bereits die beiden anderen Reiter zu sich herwinkte, um ihnen einen schmalen Bergpfad zu zeigen, der sie gewiss in eines der nächsten Dörfer führen würde.
» Vor weniger als einer Meile sind wir an einem verlassenen Hof vorübergeritten. Dort werden wir uns einrichten « , antwortete Crispin.
» Reite auch du mit ihnen « , versuchte sich Konrad einzumischen, doch man verstand ihn kaum, er war nicht einmal mehr imstande, die Augen offen zu halten. Wenn man ihn so auf dem Pferde sitzen sah, mochte man glauben, er habe ein ganzes Fass Wein in einem Zuge geleert. Ja, volltrunken sah er aus.
» Jetzt macht schon. Verschwindet! « , schrie Crispin die drei anderen an und jagte sie mit einer wilden Geste davon. Etwas widerwillig folgten Friedrich, Walter und Bertold. Immer wieder blickten
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