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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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fleucht es nur so. Ich habe eine Zeitlang an der Wallfahrtstatt der Externsteine Dienst getan, bin den dort lebenden Einsiedlern zur Hand gegangen, nachdem sie mich gesundgepflegt hatten. Dort habe ich die Pilger in Empfang genommen, die den Ort zur Buße oder zu ihrem Seelenheil aufsuchen. Glaube mir, da erlebt man so manches. Vom Heiligen Geist fehlt jegliche Spur, Hexenwerk und Unzucht nehmen zu in diesen Zeiten. Alle Menschen scheinen wirr im Kopf. Aber was red ich da? Lass uns von dir sprechen, guter Mann. Lebst du allein in dieser Kate? «
    » Mit meinem Weib. Es ist meine zweite Frau, die erste ist mir gestorben und alle Kinderlein ebenfalls. Und das in nur anderthalb Jahren. Der Herr meint es nicht gut mit mir. «
    » Wem sagst du das. Von überall her erhält man solche Schreckensnachrichten. Man könnte meinen, die Pforten der Hölle beginnen sich nach und nach knarrend zu öffnen, um uns eines Tages ganz zu verschlingen. Aber, nun sag mir, wo ist denn dein Weib? Ich sehe es gar nicht im Bette liegen. «
    » Fortgegangen ist sie. Nach dem Brennholz schauen. «
    » Da bleibt sie aber lange weg. Machst du dir keine Sorgen, Bauer? «
    » Nein, sie geht häufig fort, kehrt aber immer wieder heim. «
    » Ha, du bist mir ein treuer Tölpel. Nun gut, es soll Kerle geben, denen es nichts ausmacht, was ihre Weiber treiben, Hauptsache, sie kommen wieder zurück. «
    » So ist das nicht. «
    » Nein, gewiss nicht. «
    » Da kommt sie auch schon. Sieh an, ich hatte recht. Marie, du bist spät! Der Morgen ist nicht mehr fern. «
    Ulrich wachte noch und wartete offenbar auf sie. Hinter dem kleinen, mit einer Rindshaut verhangenen Fenster brannte ein schwaches Licht. Marie beeilte sich, die Türe zu öffnen und sich für ihr langes Fortbleiben zu entschuldigen.
    Doch nachdem sie einen Fuß auf die Schwelle gesetzt hatte, blieben ihr die Worte im Halse stecken.
    Nichts konnte sie herausbringen, keinen Ton, nicht einmal einen Laut des Entsetzens.
    Mit geöffnetem Mund starrte sie an Ulrich vorbei, der irgendetwas zu ihr sagte, auf den Mann, welcher mit ihm an dem wackligen Tisch in der Mitte der kleinen Hütte saß.
    » Nun, das ist also dein Weib, Bauer « , meinte dieser schließlich nach einem kurzen Moment des Schweigens, der Marie wie eine qualvolle Ewigkeit erschienen war. Er erhob sich und humpelte im schwachen Licht eines einzigen Kienspans auf die noch immer wie angewurzelt dastehende Frau zu.
    » Sei gegrüßt, Bauernweib. Dein Gatte war so freundlich, mir für diese Nacht Herberge anzubieten. «
    Dabei verneigte er sich tief vor Marie und schaute ihr mit seinem einzigen Auge freundlich ins Gesicht. Ja, er schaute freundlich, sogar hoffnungsvoll, ein nervöses Zucken umspielte seine Mundwinkel, seine Hände zitterten. Fürchtete er sich etwa? Nein, das konnte nicht sein. Dazu kannte Marie ihn zu gut und wusste genau, was hinter dieser falschen Freundlichkeit verborgen lag.
    Nun war es also so weit.
    Sie hatte die Möglichkeit gehabt und nicht am Schopfe gegriffen. Sie hätte gehen können, noch vor wenigen Momenten hätte sie gehen können. Vielleicht waren die Ahnungen und Träume der letzten Wochen ein Wink des Himmels gewesen, den sie zwar wahrgenommen, aber letztendlich nicht erhört hatte. Jetzt jedoch war es zu spät. Er war da und würde sie im besten Fall wieder mit sich nehmen, oder er würde sie töten. Marie wusste nicht, welches von beidem das geringere Übel darstellte. Unweigerlich machte sie zwei Schritte zurück und fand sich draußen im stärker werdenden Regen wieder.
    » Hab keine Angst, Marie « , rief ihr der unwissende Ulrich aus dem Hintergrund zu. » Er ist ein feiner Kerl, auch wenn er schlimm zugerichtet ist. Du brauchst dich nicht zu fürchten. «
    Doch, das brauchte sie, das wusste sie besser als Ulrich Filzhut. Und ja, er war schlimm zugerichtet, sehr schlimm sogar, sie hatte damals im Wald in ihrer schrecklichen Wut und Verzweiflung ganze Arbeit geleistet. Einem Höllenwesen glich er nun, und nichts anderes war dieser Mensch, er war ein Gezücht der Unterwelt, ein gewissenloser, brutaler Teufel– und sie war seine Braut.
    » Komm wieder herein, du bist schon völlig durchnässt. Hast ganz blaue Lippen. Nicht, dass du dir noch den Tod holst in dieser Nacht « , sagte er nun, sein einziges Auge blickte flehentlich, und ein erwartungsvolles Lächeln breitete sich aus auf seinem entstellten Gesicht. Und dann reichte er ihr vorsichtig die Hand. Es fehlten einige Finger. Marie war sich

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