Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
das Zeug. Tief heidnisch und damit wertlos. Wahrscheinlich liegt es schon seit Hunderten von Jahren in diesem Wald « , meinte Maja, während sie an einem der Geldstücke mit dem langen Nagel ihres kleinen Fingers kratzte. » Hier ist noch was: Roma kann ich entziffern. «
» A-a-aus dem hei-heiligen R-rom. D-d-dann ist es auf k -k-keinen Fall h-heidnisch. Es k-k-könnte also doch v-v-v-von Wert sein « , meinte nun Wilhelm, und seine Anna blickte unter ihren zusammengewachsenen, dunklen Brauen bewundernd zu ihm auf.
» Gibt es noch mehr davon? « , wandte sich Johann an die Brüder.
Diese nickten aufgeregt: » Gewiss, man muss nur danach suchen. «
» Worauf warten wir dann? « , forderte Johann die beiden auf, nahm sich einen brennenden Ast aus dem Lagerfeuer und wies die Buben an, ihm den Weg zu dem kostbaren Schatz zu zeigen. Auch Otto und Wilhelm schlossen sich an.
Maja schüttelte lächelnd, aber gleichzeitig traurig den Kopf: » Kinder sind sie noch, unschuldige Kinder. Was würde ich dafür geben, dass dies so bliebe. «
XI
U lrich Filzhut war jetzt seit fünf Tagen unterwegs. Eine Rast hatte er nur des Nachts eingelegt. In dem Ort Breden wusste man zu berichten, dass Marie gesehen worden war, wie sie in Richtung des Waldes ging, hinter dem der große Weg nach Höxter entlangführte. Er hatte also recht gehabt mit seiner Vermutung, dass sie dem Pfeifer folgte. Erleichtert war der geschwächte Ulrich dann gewesen, als er, in Höxter angekommen, erfuhr, dass tatsächlich am vorigen Tag ein bunter Spielmann zusammen mit neun jungen Leuten, darunter drei Frauen, über die Weserbrücke in den Solling gezogen war. Doch von da an hatte Ulrich ihre Fährte verloren. Umhergeirrt war er, die Orientierung hatte er verloren, war schließlich nur noch im Kreise gelaufen.
Ermattet fand er am Ende bei einem stummen Köhler Obdach. Hier, in dessen Waldhütte, lag er nun seit einem Tag und einer Nacht, konnte nicht essen und nicht trinken, sich kaum bewegen. Quälende Gedanken und Erinnerungen gingen ihm durch den pochenden und klopfenden Kopf.
Davongelaufen war sie.
Sie hatte Angst vor dem entstellten Mann gehabt. Ja, sie hatte sogar versucht, diesen zu töten.
Ulrich konnte sich all das nicht erklären. Auch den Fremden hatte er nicht mehr fragen können, denn der war unmittelbar nach Maries Verschwinden laut lachend ebenfalls in die Nacht davongegangen. Eilig hatte er es nicht gehabt, und sein dröhnendes Gelächter war noch lange in der Dunkelheit zu hören gewesen.
Was war das nur für ein Geselle gewesen? Freundlich hatte er sich gegeben, und freundlich hatte er sich auch Marie gegenüber betragen. Aber dennoch: Sie hatte schreckliche Angst vor ihm gehabt.
Warum?
Wenn es sich bei diesem nächtlichen Besucher nicht gerade um den Teufel selbst gehandelt hatte– was auch der stets skeptische Ulrich für so abwegig nicht hielt–, so musste es zumindest ein Mann gewesen sein, den Marie bereits zuvor gekannt hatte. Ein Mann aus ihrem früheren, geheimnisvollen Leben.
Ulrich konnte sich das alles nicht erklären, und so war er auch nach dem Erscheinen dieses Fremden und dem Verschwinden seiner Frau zunächst verwirrt und ratlos gewesen. Erst am Abend des nächsten Tages, als im Dorfe das Jammern und das Schreien wegen der verlorenen Kinder lauter und lauter wurde, da war auch Ulrich aus seinem Dämmerschlaf erwacht, hatte nichts weiter als ein Beutelchen mit Brot und einem Stück harten Käses gepackt und war dann aufgebrochen, um nach seiner entschwundenen Frau und den jungen Leuten zu suchen.
Etwas sagte ihm, dass Marie zu ihnen geflohen war, zu dem Pfeifer und den verlorenen Kindern. Niemandem gab der Bauer Filzhut Bescheid. Er ging einfach. Zum ersten Male in seinem Leben beschloss er, seine Heimat zu verlassen und eine weite Reise zu unternehmen. Wie viele Meilen er zurücklegen müsste, um Marie zu finden, das wusste er nicht. Es war ihm gleich. Er fühlte sich, wie sich ein Pilger fühlen musste, wenn er sich auf eine gottgewollte Fahrt begab. Es gab keine Frage nach dem Wie und Warum, es gab lediglich die Pflicht, diese oberste Herzenspflicht, die ihn trieb und die ihn, den sturen, alternden Kerl, endlich dazu veranlasste, sein altes Leben zurückzulassen.
Doch mit diesem Marsch schien er sich übernommen zu haben, denn nun lag er hilflos und schwach in einer verkohlten Hütte. Umgeben von den stinkenden abgezogenen Fellen gewilderter Tiere und in der Gegenwart eines düsteren Mannes, der seinerseits
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