Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
seien bloß fünf oder sechs Jahre alt und spielten Versteck oder Fangmich. Der Knecht Otto war ebenfalls von dem Teufelswasser heillos trunken, und der schüchterne Wilhelm überraschte alle mit einer wunderschönen, tiefen Singstimme, die rein gar nichts von seinem sonstigen Stottern erkennen ließ, während das Mädchen Anna erleichtert in seinen Armen schlummerte. Es war ein unwirtlicher, seltsamer Abend.
Allein Maja machte einen für ihre Verhältnisse normalen Eindruck. Sie hatte darauf verzichtet, von Reginos Wundergebräu zu kosten. Schweigsam saß sie da, in eine Decke gehüllt, und wiegte ihren schmächtigen Körper langsam vor und zurück.
Marie genoss diesen sonderbaren, aber dennoch so beruhigenden Moment in der Gruppe. Sie schloss die Augen, lauschte dem melancholischen Spiel des Pfeifers und dem wunderbaren Gesang des jungen Tagelöhners und spürte die Wärme des Feuers in ihrem Gesicht.
Doch dann wurden sie mit einem Male allesamt schlagartig aus ihrem entrückten Zustand gerissen. Ein ohrenbetäubendes Gebrüll ertönte. Die Schlafenden erwachten, die Musik verstummte, und alle drehten sich entsetzt in Richtung des tiefen Waldes um. Johann sprang auf, sein Schwert hielt er noch immer in Händen, richtete es nun jedoch gegen die möglichen Angreifer, die er fast sehnsüchtig erwartete, um endlich seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen.
Es erschienen aber lediglich Gustav und Fritz, die zwei halbstarken Schmiedssöhne. Beinahe hätte Johann mindestens einem von ihnen mit seinem Kurzschwert den Schädel gespalten, wenn ihn nicht im letzten Moment Maries Schrei davon abgehalten hätte.
» Seid ihr des Wahnsinns? « , brüllte er nun die Jungen an, doch dann musste er auch schon laut losprusten, und mit ihm der Rest der aufgeschreckten Gruppe, denn die Brüder sahen nur allzu komisch aus.
Auf den Köpfen trugen sie uralte, bereits schwarz angelaufene und mit Moos bedeckte Helme, aus Lianen und Laub hatten sie sich Umhänge geflochten, und während der stets braun gebrannte Fritz eine abgebrochene, alte Klinge in der Hand hielt, war das Schwert des sommersprossigen Gustav noch ganz, aber ebenso unbrauchbar.
» Wo habt ihr diesen Tand gefunden? « , fragte nun der etwa gleichaltrige Otto. Er hatte darauf verzichtet, mit den albernen Gesellen im Wald herumzutollen, und lieber mit den Älteren Branntwein getrunken, nun aber wurde er ein wenig neidisch auf den Schatz, den die beiden Brüder dabei offenbar gefunden hatten.
» Nicht weit von hier. Da ist ein Hang ins Rutschen geraten, und dabei ist das alles zum Vorschein gekommen. « Gekonnt sprang Gustav dem rothaarigen Knecht Otto entgegen und hielt ihm spielerisch die sich bereits zersetzende Klinge an den Hals.
» Aber das ist noch längst nicht alles. Schaut her « , rief Fritz stolz, griff in die an seinen schmutzigen Kittel genähte Tasche und holte eine Handvoll Münzen hervor.
Regino war gleich zur Stelle und musterte im spärlichen Licht den Fund.
» Eigentümlich, eigentümlich. Derlei Münzen sind mir noch nie untergekommen. Schaut an, ein nahezu nackter Speerwerfer ist da zu sehen. Christlich ist das nicht. «
» V-v-vielleicht aus dem M-m-morgenland « , warf Wilhelm ein, der jetzt, wo er nicht mehr sang, wieder zu stottern begonnen hatte.
» Was steht da auf der Münze? Du kannst doch lesen, Regino. Lies es uns vor « , fragte Marie und traf damit unwissentlich einen wunden Punkt. Regino räusperte sich und kratzte sich verlegen am Kopf. » Meine Augen « , sagte er schließlich. » In diesem fahlen Licht wollen meine Augen nichts erkennen. In Goslar wird es Zeit, mir ein Glas anfertigen zu lassen. «
» Lasst es mich versuchen « , krächzte nun Maja, die bis dahin am Feuer sitzen geblieben war. » Gebt schon her! «
Ängstlich, mit ausgestrecktem Arm, reichte Fritz der ihm unheimlichen Alten seinen Münzfund. Maja begutachtete die stumpfen runden Dinger lange und ausgiebig.
» SPQR kann ich auf dieser hier erkennen. Und auf einer anderen… Na, wo ist sie denn?… Da steht etwas von einem Imperator Commodus. Das ist alles, die übrigen sind unleserlich. «
» By-by-byzantiner? « , fragte Wilhelm nun. Der arme Tagelöhner schien sich mit der Geschichte der großen, weiten Welt besser auszukennen als die anderen Dorfkinder.
» Die Byzantiner sind Christen, sie würden keine nackten Männer auf ihre Münzen prägen « , gab Regino zur Antwort und ließ sich noch einmal die Münze mit dem Speerwerfer reichen.
» Heidnisch ist
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