Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Vitus Fips. Der um die Hüften gebundene Geldsack löste sich dabei, und ein Meer von stumpfen Geldstücken rollte über den verschmutzten Lehmboden. Zum Glück waren die übrigen Anwesenden– es handelte sich lediglich um drei müde Männer– so betrunken, dass sie darauf verzichteten, sich sogleich auf den unvermittelten Geldsegen zu stürzen. Hastig begann Regino, die Münzen mit beiden Händen zusammenzufegen, es machte ihm nichts aus, dass er dabei auch Auswurf sämtlicher Art, Hähnchenknochen und Fischgräten auflas.
» Du bist ja da, Fips. Wie wunderbar. Dann ist also alles wie verabredet « , sprach er dabei hastig, während der andere breitbeinig über ihm stand und verächtlich die sich ihm bietende Szene verfolgte.
» Du hast dich verspätet, Regino. «
» Wir haben uns ein wenig verlaufen, und zudem hat uns der Überfall einer Räuberbande einen ganzen Tag gekostet. «
Regino erhob sich nun. Zitternd stand er vor Fips, er überragte diesen um Haupteslänge. Dennoch stellte sich die Frage nicht, wer von den beiden Männern im Zweifelsfall der Stärkere wäre.
» Als wir uns vor einigen Nächten im Walde trafen, hatte ich das Gefühl, du wolltest mich rasch loswerden, Regino. «
» Aber, nein doch, nein. Guter Fips, wo denkst du hin? «
Sie setzten sich nun an den einzigen freien Tisch im Raum. Es handelte sich um nichts weiter als ein auf ein Fass genageltes Brett, umgeben von weiteren, kleineren Fässern, die als Hocker dienten. Ohne zu fragen, setzte ihnen eine wie aus dem Nichts kommende, äußerst magere Frau, deren linker Arm fehlte, zwei enorme gefüllte Bierkrüge vor. Regino schaute ihr nach, sich darüber wundernd, wie ein einziger dünner Arm ein solches Gewicht stemmen konnte.
» Ich… ich… « , fuhr Regino danach fort, angestrengt nach einer Ausrede suchend. » Ich fürchtete lediglich, meine jungen Begleiter könnten es, wenn sie dich sehen, mit der Angst zu tun bekommen und das Weite suchen. Immerhin waren sie nur einen Katzensprung von daheim entfernt, da fällt es einem mitunter leichter, den Mut zu verlieren und einfach in den Schoß der Mutter zurückzueilen. «
» Schoß der Mutter « , wiederholte Fips verächtlich und spuckte dabei auf den Boden. » Zu alt sind die für meine Zwecke. Solche haben schon zu viel im Kopf, um sich für meine Dienste anspannen zu lassen. Aber sei’s drum, die Hauptsache ist, dass du auf dem Weg noch andere, jüngere eingesammelt hast. So, wie wir es besprochen hatten. Ich brauche sie hier in Goslar. «
» Ja « , reagierte Regino knapp und lächelte dabei verlegen, aber gleichzeitig erleichtert, denn ebendas war das Stichwort, welches er benötigte, um seinen Plan zu präsentieren.
» Ich hab da etwas sehr viel Besseres für dich eingesammelt, guter Fips. Etwas, das dich weitaus mehr erfreuen wird. « Ein wenig nervös fingerte er nun unter dem Tisch an dem Sack mit den soeben aufgeklaubten Münzen herum. Doch just in dem Augenblick öffnete sich die Türe erneut, und mit dem grell erscheinenden Tageslicht kam eine mächtige, bullige Gestalt herein, schlug die Tür wieder zu und bahnte sich den Weg in der Dunkelheit gezielt zu Vitus Fips und Regino von Bunseborn. Ohne Fips’ Gruß zu erwidern, setzte er sich zu ihnen und erhielt, noch schneller als zuvor die beiden anderen, ein Bier von der Einarmigen, welcher er daraufhin dankbar das kaum vorhandene Hinterteil tätschelte. Die Frau kicherte zahnlos und wurde daraufhin von dem Bullen noch einmal an ihrem einzigen Arm zurückgezogen, er setzte sie sich kurz auf den Schoß und spielte vor den Augen der beiden anderen an ihrem dürren Körper herum, dann stieß er sie von sich und rief ihr nach:
» Ein bisschen Geduld, Magda, ich bin gleich bei dir. «
Regino schürzte etwas angewidert die Lippen, und auch Fips hob nicht gerade begeistert eine Augenbraue.
» Verändert hast du dich, Vitus. Was ist mit deinem Gesicht passiert? « , brummte nun der Hüne. Seine Stimme donnerte durch den ganzen Raum, war aber immer noch nicht stark genug, um die drei übrigen Anwesenden in der Schenke aus ihrem Zustand geistiger Umnachtung zu reißen.
Fips winkte ab.
» Was willst du von mir? « , fragte der Bulle nun.
» Das übliche Geschäft würde ich gern mit dir machen, Hajo. «
Entschieden schüttelte der Riese sogleich den Kopf und schickte sich bereits an aufzustehen und zu der auf ihn wartenden Magda zu stampfen.
» Warum nicht? « , fragte Fips und hob seinen Krug, um dem anderen zuzutrinken
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