Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
ungeboren,
habe noch keine Schlacht verloren.
So wahr ich greif in diesen Stein,
auch diese Schlacht muss meine sein. «
Und mit diesen feierlich ausgesprochenen Worten griff Regino nun in das faustgroße Loch in dem Stein, auf dem noch immer die Felle trockneten, und grinste seine Leute erwartungsvoll an. Doch diese gafften bloß, verwirrt über das wieder einmal sonderbare Verhalten ihres Anführers.
» Graf Hoyer von Mansfeld « , rief Regino nun ganz selbstverständlich und tat so, als sei es ein Armutszeugnis, nichts über die Geschichte dieses Steines zu wissen, eine Geschichte, die er selbst erst soeben auf seinem Spaziergang von einem geschwätzigen Bauern erfahren hatte. » Er war Feldherr des Salierkaisers Heinrich V., Sohn des Mannes, dem es einst gefallen hatte, des Winters fast nackend nach Canossa zu gehen und sich dem Papst vor die Füße zu werfen. Graf Hoyer, meine Lieben, hat vor mehr als zweihundert Jahren auf diesem Felde hier eine große Schlacht gegen die Sachsen geschlagen. Und zuvor, um sich des Sieges gewiss zu sein, griff er in ebendiesen Stein dort und sprach die Sätze, welche ich soeben für eure Ohren wiederholt habe. «
Alle blickten sie jetzt nacheinander durch das Loch in dem Stein, welchem sie bislang nur wenig Beachtung geschenkt hatten, während Regino mit verschränkten Armen zufrieden danebenstand und es sichtlich genoss, wieder einmal etwas von seinem profunden Wissensschatz zum Besten gegeben zu haben.
» Und hat es ihm genützt, dem Grafen? Hat er die Schlacht gegen die Sachsen gewonnen? « , fragte Johann. Seine Neugierde war geweckt, so wie sie immer geweckt wurde, wenn es um Kriegskunst ging.
Regino räusperte sich daraufhin mehrmals, indem er sich die Faust vor den Mund hielt und dahinter ein sehr undeutliches » Nö « murmelte.
» Wie bitte? Ich verstehe Euch nicht, Meister. Ist der Stein nun wundertätig, oder nicht? «
» Hoyer hat die Schlacht und auch sein Leben ver… « , begann Regino nun. Und dann, mit strahlendem Lächeln im Gesicht, rief er plötzlich: » Da kommen sie, da kommen sie! Maja und Marie. Da kommen sie! «
Von dem Stein, der sich zwar nicht sonderlich gut als Orakel, dafür aber wunderbar als Trockenvorrichtung machte, war nun keine Rede mehr.
» Und? « , hauchte Regino Marie ins Ohr, als diese sich als Erstes über den tief schlafenden Ulrich beugte, der leicht zu fiebern schien und die Ankunft seiner Frau gar nicht bemerkt hatte. » Und? « , wiederholte er erwartungsfroh.
Marie erhob sich, stellte sich nah vor den Gaukler, blickte ihm sehr streng in die Augen und gab sonst keinen Ton von sich.
» Also nichts? Entkommen? Dann wird Regino sich wohl selbst um die Angelegenheit kümmern müssen « , versprach dieser flüsternd, aber dennoch vollmundig, während das Zucken um seine breiten Lippen eine Spur von Unbehagen verriet.
Noch am gleichen Tage erreichten sie die Saale.
» Wollen wir das Unangenehme noch heute vollbringen? Dann liegt es morgen hinter uns « , rief Regino, am morastigen Ufer des doch recht breiten Flusses stehend, den keiner von ihnen so rasch, so groß, so tief und offenbar so unüberbrückbar erwartet hatte. Selbst Maja nicht, welche die Gruppe zwar nach den Sternen und Himmelsrichtungen führte, aber über die landschaftliche Beschaffenheit dessen, was ihrer harrte, ebenso wenig Bescheid wusste wie alle anderen auch. Von der großen Elbe, ja, davon hatten sie vernommen, und auch von der Saale hatten so manche gesprochen, denen sie auf ihrem Marsch begegnet waren. Aber anders als bei dem Elbefluss, den sie sich wahrlich mächtig vorstellten, dachten Regino und Maja bei der Saale an einen etwas breiteren Bachlauf, bei dem man sich im schlimmsten Falle die Kleider bis zum Schritt nass machte. Doch da hatten sie sich offenbar geirrt.
» Einen Kundschafter brauchen wir. Zwei Kundschafter « , sprach Regino im Befehlston und blickte, noch immer in Kriegsherrenpose dastehend, auf den friedlichen, aber leider recht tiefen Fluss, als handele es sich bei diesem um einen wilden Drachen, den es zu erlegen galt.
» Freiwillige? «
» Was sollen wir tun? « , fragten Fritz und Gustav, die beiden Brüder.
» Einer läuft in den Norden, der andere in den Süden. Nicht ganz so weit, eine Meile höchstens. Findet eine Furt, eine schmale Stelle, über die man ein Seil werfen kann, eine Fähre oder– oh Glück, sei uns hold– gar eine Brücke. Wir warten so lange an diesem gottverlassenen Ort hier auf euch! «
Und das
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