Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
benommen, noch nahm sie nichts weiter wahr, als dass dies der sanfte Tod nicht sein konnte, der sie vor wenigen Augenblicken noch so gnädig empfangen hatte. Nein, es war vielmehr das raue Leben, das nun in sie zurückkehrte, indem jemand mit seinem Mund Luft in den ihren blies und zwischendurch auf ihren Brustkorb drückte, so stark, dass sie spürte, wie mindestens eine Rippe anknackste.
Marie bäumte sich vor Schmerz auf, sie hustete und gab in einem großen Schwall alles Saalewasser von sich, das sie während des Unglücks geschluckt hatte– und das war eine ganze Menge.
» Gut « , vernahm sie ein einziges Wort.
Jemand kniete neben ihr und schlug ihr auf den Rücken, so wie man es bei einem Kinde tat, wenn es sich verschluckt hatte. Doch durch diese weitere unsanfte Berührung machte sich Maries schmerzende Rippe nur noch stärker bemerkbar, und sie begann » Aua « zu rufen.
Was war das bloß für ein ungehobelter Lebensretter, mit dem sie es da zu tun hatte? Hätte sie die Wahl gehabt, so wäre sie lieber ins Himmelreich der Engel entfleucht, als von einem solchen Folterknecht zurück ins Leben befördert zu werden.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah Marie sich nun um.
Der, der da neben ihr im Schlamm hockte und ebenso triefend nass war wie sie: Es war keiner der Dorfburschen, wie sie gedacht hatte.
Nein, es war ein Fremder– der Mann, dem sie vor einigen Tagen zufällig und nur für einen verschwindend kurzen Moment bereits begegnet war. Er erinnerte sich gewiss nicht mehr an sie, aber Marie war er nicht aus dem Kopf gegangen. Ständig hatte sie des Nachts und während ihrer monotonen Wanderungen sein Bild vor Augen– ob sie wollte oder nicht. Und nun kniete er neben ihr und grinste sie an.
» Danke « , stammelte sie, den Vorwurf herunterschluckend, welchen sie ihm eigentlich wegen seiner groben Behandlung hatte machen wollen.
» Es ist mir eine Pflicht « , sagte er nun, stand auf und wollte Marie gerade an ihrem ausgekugelten Arm heraufziehen, als diese sich schreiend wieder fallen ließ und den Koloss gleich mit sich zu Boden riss.
Schwer lag er auf ihr, und es wäre für Marie gewiss ein wohliges Gefühl gewesen, wenn nicht dieser schrecklich pochende Arm und die in Mitleidenschaft gezogene Rippe gewesen wären. Für ihn, den Fremden jedoch, schien es eindeutig ein wohliges Gefühl zu sein, das spürte Marie. Eindeutig spürte sie es, denn er hatte sich offenbar, als er ins Wasser gesprungen war, seiner schweren Oberbekleidung entledigt und trug nurmehr eine leichte Hose.
» Oh « , meinte sie erstaunt und gleichzeitig darauf achtend, dass ihr Arm frei und unberührt lag.
Beschämt raffte der Mann sich ruckartig auf, ging davon und klaubte seine ein wenig entfernt über einen Busch geworfenen Kleider zusammen. Er würdigte Marie keines Blickes mehr.
Diese hustete noch immer und hielt sich den Arm, während sie ihren Retter beklommen dabei beobachtete, wie er sich wieder in sein Rüstzeug kleidete. Erleichtert vernahm sie nach wenigen Augenblicken die sich nähernden, aufgebrachten Stimmen von Johann, Regino und Maja, die immer wieder Maries Namen riefen.
» Da sitzt sie « , hörte sie nun Regino rufen, der im Nu bei ihr war und sie zum Glück am gesunden Arm auf die Beine zog.
Maja und Johann jedoch schienen sich nicht sonderlich um Maries Befinden zu sorgen. Zwar waren auch sie rasch zur Stelle, doch anstatt zu der zwar verletzten, aber immerhin lebendig Geborgenen zu eilen, standen die beiden wie angewurzelt vor dem nun wieder eingekleideten Ritter im weißen Umhang mit schwarzem Kreuz und übertrumpften sich gegenseitig im Feilbieten von Maulaffen.
XXII
U ahhh « , entfuhr es Regino, bevor er sich vorsichtig nach demjenigen umdrehte, der es plötzlich wagte, ihm etwas Spitzes in den Rücken zu bohren.
» Edler Herr? « , fragte er ängstlich, nachdem er in das nicht wohlgesonnene Gesicht von Maries Lebensretter blickte. Er kannte diesen Ritterordensmann nicht, war ihm nie zuvor begegnet und konnte deshalb auch beim besten Willen nicht begreifen, warum dieser es nun für notwendig hielt, ihm, dem unbescholtenen Pfeifer Regino, die Spitze seines Schwertes gegen die Rippen zu piksen.
» Wie ich vernahm, so hat er vor einigen Nächten zwei Jungfern aus dem Stift zu Quedlinburg entführt « , sagte der düstere Schwarzkreuzler nun, ohne eine Miene zu verziehen.
Regino wollte soeben antworten, dass es sich dabei um ein großes Missverständnis handelte, und holte bereits tief Luft, um
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