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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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waschen und kochen, sie bringen die Kinder zur Welt, und alle wohnen in einem großen Haus vor der Stadt, wo sie den Männern nicht in die Quere kommen.« Ich lasse meine Gabel mit Fleisch wieder sinken. »So etwasÄhnliches habe ich gesehen, als ich dich suchte. Die Männer schliefen in einem Haus, die Frauen in einem anderen.«
    »Todd«, sagt sie und schaut mich an, »sie haben nicht auf mich gehört. Sie haben mir kein Sterbenswörtchen geglaubt. Nichts von dem, was ich ihnen über die Armee berichtet habe. ›Kleines Mädchen‹, sagen sie zu mir und tätscheln mir den Kopf.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust. »Der einzige Grund, weshalb sie jetzt mir dir sprechen wollen, ist, weil Flüchtlingskarawanen auf der Straße am Fluss aufgetaucht sind.«
    »Wilf«, sage ich.
    Sie mustert mich, liest in meinem Lärm. »Oh«, sagt sie. »Nein, den habe ich nicht gesehen.«
    »Warte einen Augenblick.« Ich nehme noch einen Schluck von dem Getränk. Ich habe das Gefühl, dass ich schon seit Jahren nichts mehr zu trinken bekommen habe. »Wie ist es möglich, dass wir der Armee so weit voraus sind? Wie kommt es, dass ich schon fünf Tage hier bin und sie uns noch nicht eingeholt haben?«
    »Wir fuhren eineinhalb Tage mit dem Boot.« Sie kratzt mit dem Fingernagel über etwas, was auf dem Tisch kleben geblieben ist.
    »Einen ganzen Tag und einen halben«, wiederhole ich nachdenklich. »Wir haben bestimmt viele Meilen zurückgelegt.«
    »Ja«, bestätigt sie. »Ich habe das Boot einfach treiben lassen. Ich hatte viel zu viel Angst, um irgendwo anzulegen. Du hättest manchmal deinen Augen nicht getraut ...« Sie schüttelt den Kopf.
    Mir fallen Janes Warnungen wieder ein. »Nackte Menschen und Häuser aus Glas?«, frage ich.
    Viola wirft mir einen verwunderten Blick zu. »Nein. Nur Armut, schreckliche Armut. Manche Leute haben so ausgeschaut, als würden sie uns auf der Stelle auffressen wollen, deshalb bin ich weitergefahren, und du wurdest dabei kränker und immer kränker, und dann, am zweiten Morgen, sah ich Doktor Snow und Jacob. Sie waren beim Fischen, und in ihrem Lärm konnte ich lesen, dass er Arzt ist, und so seltsam dieser Ort auch sein mag, was die Frauen angeht: Er ist wenigstens sauber.«
    Ich blicke mich in der sauberen, so sauberen Küche um. »Wir können nicht bleiben.«
    »Nein, das können wir nicht.« Sie stützt den Kopf in die Hände. »Ich hatte solche Angst um dich.« Ich höre das Mitgefühl, das in ihren Worten mitschwingt. »Ich hatte solche Angst, dass die Armee kommt und mir niemand glaubt.« Verzweifelt schlägt sie mit der Faust auf den Tisch. »Und ich habe mich so elend gefühlt wegen ...«
    Sie unterbricht sich. Verzieht das Gesicht. Schaut weg. »Manchee.« Ich spreche seinen Namen laut aus, das erste Mal, seit er ...
    »Es tut mir so leid, Todd.« In ihren Augen stehen Tränen. »Du kannst nichts dafür.« Ich springe auf und schiebe meinen Stuhl zurück.
    »Er hätte dich getötet«, sagt sie, »und danach hätte er Manchee getötet, einfach nur, weil er die Gelegenheit dazu hatte.«
    »Hör auf, davon zu reden, bitte.« Ich gehe zurück ins Schlafzimmer. Viola folgt mir. »Ich werde mit diesen Alten reden.« Ich hebe Violas Tasche vom Boden auf und stopfe alles hinein, was an gewaschener Kleidung daliegt. »Und dann gehen wir. Wie weit ist es noch bis Haven, weißt du das ?«Ein Lächeln huscht über Violas Gesicht. »Zwei Tage.« Überrascht halte ich inne. »So weit flussabwärts sind wir gefahren?«
    »So weit sind wir gefahren.«
    Ich stoße einen leisen Pfiff aus. Zwei Tage. Nur noch zwei Tage bis nach Haven. Was uns auch immer dort erwarten mag.
    »Todd?«
    »Was ist?«, frage ich und werfe mir ihre Tasche über die Schulter.
    »Ich danke dir«, sagt sie.
    »Wofür?«
    »Dass du zurückgekommen bist und mich geholt hast.« Alles ist auf einmal ganz still.
    »Ist doch klar.« Ich spüre, wie mein Gesicht zu glühen beginnt, und drehe den Kopf weg. Auch Viola sagt nichts weiter. »Wie ist es dir ergangen?«, frage ich, ohne sie dabei anzuschauen. »Nachdem er dich mitgenommen hat.«
    »Ich will wirklich nicht ...«, beginnt sie, da hören wir eine Tür zufallen und ein Singsang Daddy Daddy Daddy kommt vom Hauseingang auf uns zu. Jacob klammert sich am Türrahmen fest, betritt das Zimmer jedoch nicht.
    »Daddy hat mich geschickt, ich soll dich holen«, sagt er.
    »Oh?« Ich schaue den Jungen mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Heißt das, ich soll die andern Männer jetzt gleich

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