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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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seine Stimme ist dumpf, die Worte stechen wie ein Herzanfall. »Ihr müsst nach Haven. So schnell ihr könnt.«
    »Das weiß ich, Ben«, sage ich. »Warum bist du ...« »Eine Armee ist hinter dir her.«
    »Ich weiß. Und Aaron noch dazu. Aber jetzt, wo du da bist, können wir doch ...«
    »Ich kann nicht mitkommen«, sagt er.
    Mein Mund bleibt offen stehen. »Was? Natürlich kannst du.«
    Er schüttelt den Kopf. »Du weißt, dass es nicht geht.«
    »Wir werden einen Weg finden.« Doch schon beginnt mein Lärm wie rasend zu zappeln, zu denken, zu erinnern.
    »Ein Mann aus Prentisstown ist nirgendwo in New World willkommen«, sagt Ben.
    Ich nicke. »Auch über Jungen aus Prentisstown ist man nicht allzu erfreut.«
    Er fasst mich am Arm. »Hat dir jemand wehgetan?«
    Ich blicke ihn an. »Viele Leute haben das«, antworte ich ruhig.
    Er beißt sich auf die Unterlippe und sein Lärm wird noch trauriger.
    »Ich habe dich gesucht«, sagt er. »Tag und Nacht. Ich bin der Armee gefolgt, habe mich an ihr vorbeigeschlichen, habe sieüberholt, habe mich überall erkundigt nach einem Jungen und einem Mädchen, die alleine unterwegs sind. Und jetzt habe ich dich gefunden, und du bist wohlauf. Ich wusste, dass es so sein würde. Ich wusste es.« Er seufzt, und in seinem Seufzer schwingt so viel Liebe und Trauer mit, dass ich weiß, er spricht die Wahrheit. »Aber ich bin eine Gefahr für dich in New World.« Er deutet auf das Gebüsch, in dem wir uns verstecken – wie die Diebe. »Den Rest des Wegs musst du alleine schaffen.«
    »Ich bin nicht allein«, sage ich, ohne nachzudenken.
    Er lächelt, es ist noch immer ein trauriges Lächeln. »Nein«, sagt er, »das bist du nicht.« Er schaut sich um, späht durch das Blattwerk über den Fluss, zu Doktor Snows Haus. »Du warst krank?«, fragt er. »Gestern Morgen habe ich deinen Lärm gehört, wie er zum Fluss herabgeweht kam, aber er klang fiebrig und verschlafen. Seitdem habe ich hier gewartet. Ich hatte Angst, irgendetwas wäre nicht in Ordnung.«
    »Ich war krank«, sage ich. Scham überzieht meinen Lärm wie zäher Nebel.
    Ben blickt mich prüfend an. »Was ist geschehen, Todd?« Er liest einfühlsam in meinen Gedanken, wie er es immer getan hat. »Was ist geschehen?«
    Ich öffne meinen Lärm für ihn, lasse ihn teilhaben an allem, was mir bisher widerfahren ist. Ich zeige ihm die Krokodile, die Aaron angegriffen haben, die Flucht durch den Sumpf, Violas Raumschiff, die Hetzjagd des Bürgermeisters auf mich, die Brücke, Hildy und Tam, Farbranch und alles, was sich dort ereignet hat, die Weggabelung, Wilf und die zotteligen Viecher, die immerzu »Hier« sangen, Prentiss junior und Viola, die mich gerettet hat.
    Und den Spackle.
    Und das, was ich ihm angetan habe.
    Ich kann Ben nicht in die Augen schauen.
    »Todd«, sagt er.
    Ich kann nicht aufblicken.
    »Todd«, sagt er wieder. »Schau mich an.«
    Ich schaue hoch. Seine Augen sind so strahlend blau wie immer. »Wir alle haben Fehler gemacht, Todd. Jeder von uns.«
    »Ich habe es umgebracht«, sage ich. Ich schlucke. »Ich habe ihn umgebracht. Er war ein lebendes Wesen.«
    »Du hast es nicht anders gewusst. Du hast das getan, was du für das Beste hieltest.«
    »Und das reicht als Entschuldigung?«
    Aber in seinem Lärm ist noch etwas. Etwas, was unbedingt erzählt werden will.
    »Was ist, Ben?«
    Er holt tief Luft. »Es ist an der Zeit, dass du Bescheid weißt, Todd«, beginnt er. »Es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst.«
    Äste knacken und Viola kommt zu uns gerannt. »Ein Pferd, auf der Straße«, stößt sie atemlos hervor.
    Wir lauschen angespannt. Hufgetrappel auf der Flussstraße, es nähert sich schnell. Ben verzieht sich tiefer ins Gebüsch. Wir folgen ihm, aber der Reiter ist so schnell, er scheint sich nicht im Geringsten für uns zu interessieren. Wir hören, wie er vorbeidonnert und auf die Brücke galoppiert, die Hufe klappern auf den Brettern, dann auf dem staubigen Weg, bis die Musik aus den Lautsprechern sie verschluckt hat.
    »Er bringt bestimmt keine guten Neuigkeiten«, vermutet Viola.
    »Wahrscheinlich von der Armee«, sagt Ben. »Inzwischen dürfte sie nicht mehr als ein paar Stunden von hier entfernt sein.«
    »Was!?« Entsetzt springe ich auf, Viola ebenso.
    »Ich habe dir doch gesagt, wir haben nicht viel Zeit«, sagt Ben.
    »Dann müssen wir sofort gehen!«, fordere ich ihn auf. »Du musst mitkommen. Wir werden den Leuten in Carbonel Downs sagen ...«
    »Nein«, unterbricht er mich. »Seht

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