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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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treffen?«
    Jacob nickt ernst.
    »Wenn das so ist, dann kommen wir.« Ich rücke die Tasche auf meinen Schultern zurecht und werfe Viola einen Blick zu. »Und danach gehen wir.«
    »Ganz genau«, sagt Viola, und die Art, wie sie es sagt, stimmt mich fröhlich. Wir folgen Jacob hinaus, aber an der Haustür hält er uns auf.
    »Nur du«, sagt er und schaut mich an.
    »Ich soll was ?«
    Viola verschränkt die Arme. »Er meint, nur du sollst mit den Ältesten sprechen.«
    Jacob nickt, auch diesmal mit größtem Ernst.
    Ich blicke zu Viola, dann wieder zu Jacob. »Nun gut«, sage ich und kauere mich nieder, sodass ich genauso groß bin wie er. »Warum gehst du nicht inzwischen zu deinem Vater und sagst ihm, dass wir beide, Viola und ich, gleich kommen werden. Okay?«
    Jacob sperrt den Mund auf. »Aber er hat gesagt ...«
    »Es ist mir eigentlich egal, was er gesagt hat«, erkläre ich ihm freundlich. »Geh nur.«
    Er gibt einen erschrockenen Laut von sich und flitzt zur Tür hinaus.
    »Ich glaube, ich muss mir inzwischen nicht mehr von Männern sagen lassen, was ich tun soll.« Ich bin überrascht, wie müde ich klinge, und plötzlich möchte ich nur noch zurück in dieses Bett und noch einmal fünf Tage schlafen.
    »Geht es dir so gut, dass du bis nach Haven laufen kannst?«, fragt Viola.
    »Versuch mich davon abzuhalten«, erwidere ich und sie lächelt wieder.
    Ich gehe zur Tür hinaus.
    Und warte vergebens darauf, dass Manchee mit nach draußen stürmt.
    Seine Abwesenheit ist umso qualvoller, je mehr ich ihnnoch neben mir spüre. Alle Luft entweicht meiner Lunge und ich muss stehen bleiben, tief einatmen und schlucken.
    »Oh Mann«, stöhne ich auf.
    Sein letztes »Todd?« wühlt in meinem Lärm wie in einer Wunde.
    Das ist auch noch so etwas Seltsames am Lärm. Alles, was dir jemals widerfahren ist, spricht darin einfach weiter, für immer und ewig.
    Ich sehe gerade noch die Staubwolke, die Jacob hinter sich herzieht, als er den Weg zwischen den Bäumen hindurch zur Ortsmitte rennt. Ich schaue mich um. Das Haus von Doktor Snow ist nicht gerade groß, aber es reicht bis zu einer Plattform, von der aus man den Fluss überschauen kann. Ein kleiner Anlegesteg und eine winzige Brücke verbinden den breiten Weg, der aus Carbonel Downs kommt, mit der Flussstraße auf der anderen Seite. Die Straße, auf der wir so lange entlanggewandert sind, verschwindet beinahe hinter einer kleinen Allee, aber sie folgt dem Flusslauf und wird uns in zwei Tagesmärschen nach Haven führen.
    »Mein Gott«, entfährt es mir. »Verglichen mit dem Rest von New World ist das hier ein Paradies.«
    »Zu einem Paradies gehört mehr als nur hübsche Häuser«, sagt Viola.
    Doktor Snow hat einen sehr gepflegten Vorgarten angelegt. Entlang des Wegs in die Ortsmitte reihen sich Häuser zwischen den Bäumen und ich höre wieder diese Musik.
    Diese unheimliche Musik. Ständig eine andere Melodie, vermutlich, damit man sich nicht an eine gewöhnt. Mir kommt nichts davon bekannt vor, aber hier draußen ist sie viel lauter, ich glaube, man soll auch gar nichts wiedererkennen, aber ichschwöre, ich habe etwas in diesen Tönen wiedererkannt, als ich aufgewacht bin.
    »In der Mitte der Ortschaft ist es beinahe unerträglich«, sagt Viola. »Den meisten Frauen käme es gar nicht in den Sinn, das Heim verlassen zu wollen.« Sie zieht die Stirn in Falten. »Ich glaube, das ist der eigentliche Sinn der Sache.«
    »Wilfs Frau hat mir mal von einer Siedlung erzählt, in der je der ...«
    Ich breche ab, denn die Musik hat sich verändert.
    Nur dass sie sich gar nicht verändert hat.
    Die Musik aus der Siedlung ist gleich geblieben, wirr plappernd und verdreht wie ein gelenkiger Affe.
    Aber da ist noch etwas.
    »Hörst du das?«, frage ich.
    Ich drehe mich um.
    Dann noch einmal. Und auch Viola lauscht und wendet sich um.
    »Vielleicht hat jemand einen Lautsprecher jenseits des Flusses aufgestellt?«, überlegt sie. »Damit die Frauen erst gar nicht auf dreiste Ideen kommen.«
    Ich höre ihr schon nicht mehr zu.
    »Nein«, murmle ich. »Das kann doch nicht sein.«
    »Was?«, flüstert Viola, ihre Stimme klingt jetzt ganz anders.
    »Pst.« Ich lausche aufmerksam, versuche meinen Lärm leise zu halten, damit ich es hören kann.
    »Es kommt vom Fluss her«, raunt Viola.
    »Pst.« Mein Herz beginnt zu klopfen, mein Lärm beginnt zu summen, er brummt so laut, dass er mich beim Lauschen stört.
    Dort draußen, über dem Rauschen des Wassers und dem Lärm der Vögel, dort

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