Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
Vom Netzwerk:
eines jagenden Krokodils zu übertönen. Ben behauptet, das ist Evolution, aber er sagt, man solle in Aarons Nähe besser nicht an so etwas denken.
    Mein Atem geht schwer, und Manchee schnappt nach Luft, als würde er jeden Moment die Besinnung verlieren, aber wir bleiben nicht stehen. Die Sonne steht schon tief am Horizont, trotzdem ist es noch angenehm hell, allerdings auch so hell, dass man sich nicht verstecken kann. Das Gelände wird flacher, und wir sind fast auf Uferhöhe, wo der Fluss sich im Sumpf verläuft. Der Boden wird schlammiger und wir kommen nur noch langsam vorwärts. Auch das Dickicht wird undurchdringlicher, aber wir haben keine andere Wahl.
    »Achte auf die Krokodile«, sage ich zu Manchee. »Sperr die Ohren auf.«
    Der Fluss strömt hier langsamer, und wenn man seinen eigenen Lärm nur gut genug unterdrückt, kann man sie dort draußen hören. Der Untergrund wird immer rutschiger. Wir kommen nur noch im Schritttempo voran, wir waten tief durch den Matsch. Ich umklammere das Messer fester und halte es vor mich.
    »Todd?«, sagt Manchee.
    »Hörst du sie?«, flüstere ich und versuche darauf zu achten, wohin ich trete, versuche auf das Uferdickicht zu achten und darauf, was Manchee tut.
    »Krokodile, Todd«, bellt Manchee, so leise er kann. Ich bleibe stehen und lausche angestrengt.
    Dort draußen höre ich sie.
    Fleisch , sagen sie.
    Fleisch und Festschmaus und Zahn , sagen sie.
    »Scheiße«, sage ich.
    »Krokodile«, sagt Manchee.
    Wir waten weiter, wir sind jetzt mitten im Sumpf. Mit jedem Schritt sinken meine Schuhe ein, und Wasser läuft aus ihnen heraus, aber es gibt keinen anderen Weg als den durchs Schilf. Ich fuchtle mit dem Messer herum und versuche jeden Schilfhalm zu kappen, der vor mir auftaucht.
    Das Gelände steigt ein wenig an und wir halten uns rechts. An der Stadt sind wir vorbei, wir sind dort, wo die Brache, die bei der Schule beginnt, in den Sumpf übergeht, und wenn wir es schaffen, durch diese schlammigen Stellen zu kommen, sind wir auf sicherem Boden und können auf Wegen weiterlaufen.
    War es wirklich erst heute Morgen, als ich zum letzten Mal hier war?
    »Beeil dich, Manchee«, sage ich, »wir sind gleich da.« Fleisch und Festmahl und Zahn .
    Ich schwöre, ihr Lärm kommt näher.
    »Komm weiter!«
    Fleisch.
    »Todd?«
    Ich haue einen Weg durchs Schilf und ziehe meine Füße aus dem Schlamm. Und da ist es wieder.
    Fleisch und Festmahl und Zahn .
    Und dann höre ich auf einmal Zappelhund .
    Und ich weiß, jetzt sind wir erledigt.
    »Lauf!«, schreie ich.
    Wir rennen los, Manchee kläfft ängstlich und jagt neben mir her. Plötzlich bäumt sich vor ihm ein Krokodil auf, aber Manchee hat solche Panik, dass er sogar noch höher springtals das Krokodil, wahrscheinlich weiß er selbst nicht, wie hoch er eigentlich springen kann, und die Zähne des Krokodils beißen ins Leere. Mit einem Platschen landet es neben mir und schaut völlig verdattert, und ich höre, wie es in seinem Lärm zischt: Zappeljunge , da renne ich los, denn jetzt schnappt es nach mir, und ich denke überhaupt nicht nach, ich drehe mich um und strecke die Hand aus, und das Krokodil klatscht auf mich herab, sein Maul steht sperrangelweit offen, und seine Klauen sind ausgefahren, und ich bin überzeugt, dass ich so gut wie tot bin, und ich kämpfe mich frei aus dem Schlamm, finde ein trockenes Fleckchen. Das Krokodil hat sich auf die Hinterbeine gestellt, folgt mir nach, und ich schreie eine ganze Minute lang aus Leibeskräften, Manchee bellt so ohrenbetäubend, dass er fast den Verstand verliert, ehe ich merke, dass mir das Krokodil gar nicht mehr folgt, dass es tot ist, dass mein Messer in seinem Kopf steckt und dass es sich nur deshalb windet und krümmt, weil auch ich mich noch winde und krümme. Also ziehe ich das Messer heraus, das Tier plumpst auf den Boden, und ich falle beinahe darüber, vor lauter Freude, nicht auch tot zu sein.
    Ich schnappe nach Luft, weil mein Blut wieder so rauscht, und Manchee bellt und bellt, und wir beide sind ganz aus dem Häuschen vor Erleichterung, und da erst merke ich, dass wir viel zu laut waren, um etwas Wichtiges zu hören.
    »Wohin des Wegs, junger Todd?«
    Aaron. Er steht direkt über mir.
    Ehe ich überhaupt etwas tun kann, hat er mir schon einen Schlag ins Gesicht versetzt.
    Ich stürze rückwärts zu Boden, der Rucksack gräbt sich in meine Schultern und ich sehe aus wie eine Schildkröte, die aufdem Rücken liegt. Meine Wange und mein Auge brennen wie Feuer. Ehe

Weitere Kostenlose Bücher