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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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zusammengebunden, oder es hängt rechts und links herab. Sie machen all das, was im Haus zu erledigen ist, während Jungs sich um die Sachen draußen kümmern. Wenn sie dreizehn sind, werden sie Frauen, so wie Jungs in dem Alter Männer werden, und später werden aus ihnen Ehefrauen.
    So ist das in New World – oder zumindest in Prentisstown. So war es. So sollte es eigentlich sein. Nur dass es keine Mädchen mehr gibt. Sie sind alle tot. Sie sind zusammen mit ihrenMüttern gestorben und ihren Großmüttern und Schwestern und Tanten. Sie sind wenige Monate nach meiner Geburt gestorben. Alle, es gab keines, das überlebte.
    Aber hier ist eines.
    Die Haare sind allerdings nicht lang. Ihre Haare. Ihre Haare sind überhaupt nicht lang. Und sie hat auch kein richtiges Kleid an, sondern Zeug, das aussieht wie eine neuere Version meiner eigenen Sachen; sie sind nagelneu, sie sehen fast wie eine Uniform aus, wenn auch zerrissen und schmutzig, und das Mädchen ist auch nicht klein, sondern ungefähr so groß wie ich, grob geschätzt, und es lächelt, zum Teufel noch mal, kein bisschen.
    Nein, kein bisschen.
    »Spackle ?«, bellt Manchee leise.
    »Würdest du zum Teufel noch mal endlich die Schnauze halten?«, blaffe ich ihn an.
    Tja, woher weiß ich es? Woher weiß ich, dass es ein Mädchen ist?
    Zum einen, weil sie kein Spackle ist. Spackle sehen aus wie Männer, nur dass alles an ihnen ein wenig aufgebläht ist; alles ist ein wenig länger und seltsamer als bei einem Mann. Der Mund ist etwas weiter oben, als er eigentlich sein sollte, und die Ohren und Augen sind nun wirklich ganz anders als bei uns. Spackle wächst die Kleidung direkt auf der Haut, man kann sie sogar scheren – wie Wolle, die man in Form trimmt. Das kommt vom Leben in den Sümpfen, behauptet zumindest Ben, und das ist wieder eine seiner kühnen Vermutungen; aber das Mädchen sieht nicht so aus und seine Kleider sind ganz normal und daher kann es auch kein Spackle sein.
    Zum anderen weiß ich es eben. Einfach so. Keine Ahnung,warum, aber ich schaue hin, und ich sehe, und ich weiß. Sie sieht nicht aus wie die Mädchen in den Videos oder im Lärm und ohnehin habe ich noch nie ein leibhaftiges Mädchen gesehen, aber da steht sie – ein Mädchen und sonst gar nichts. Frag mich nicht, aber da ist irgendetwas an ihrem Aussehen, an ihrem Geruch, irgendwas, was ich nicht benennen kann. Wie auch immer, da ist sie, und sie ist ein Mädchen.
    Wenn es je ein Mädchen gegeben hat, dann muss sie eines sein.
    Ein Junge ist sie jedenfalls nicht. Nie und nimmer. Sie ist nicht so wie ich, oh nein. Sie ist so total anders, keine Ahnung, woher ich das weiß, aber ich kenne mich, ich bin Todd Hewitt, und ich weiß, wer ich bin, und ich bin nicht wie sie.
    Sie sieht mich an. Sie betrachtet mein Gesicht, meine Augen. Sie schaut und schaut.
    Und ich, ich höre rein gar nichts. Oh Mann. Meine Brust. Es ist, als würde ich in die Tiefe fallen.
    »Wer bist du?«, wiederhole ich, aber meine Stimme stockt , als wollte sie gleich brechen, weil ich so traurig bin (halt bloß die Klappe). Ich knirsche mit den Zähnen und drehe fast durch und trotzdem frage ich noch mal: »Wer bist du?«, und dabei strecke ich das Messer noch ein Stück weiter nach vorn. Mit der anderen Hand wische ich mir hastig über die Augen.
    Irgendwas muss passieren. Irgendjemand muss einen Schritt tun. Jemand muss was unternehmen.
    Aber da ist kein Jemand, nur ich, ganz egal, was sonst noch vor sich geht.
    »Kannst du sprechen?«, frage ich.
    Sie sieht mich nur an.
    »Still«, bellt Manchee.
    »Schnauze, Manchee!«, knurre ich ihn an. »Ich muss nachdenken.«
    Und immer noch sieht sie mich an. Ohne jeden Lärm.
    Was mache ich jetzt? Das ist nicht fair. Ben hat mich in die Sümpfe geschickt, und ich dachte, ich wüsste, was zu tun ist, aber in Wahrheit habe ich keinen blassen Schimmer. Von einem Mädchen hat er kein Wort gesagt und auch nicht, wieso die Stille so wehtut, dass ich glatt anfangen könnte zu heulen, so als würde mir etwas so verdammt fehlen, dass ich nicht mehr geradeaus denken kann, es ist, als wäre die Leere in mir und nicht in ihr und als ließe sich absolut nichts dagegen machen.
    Was soll ich denn bloß tun?
    Was soll ich denn bloß tun?
    Sie scheint sich ein wenig zu beruhigen. Sie zittert nicht mehr so sehr, reißt die Arme nicht mehr hoch, und sie sieht auch nicht mehr so aus, als würde sie bei der erstbesten Gelegenheit abhauen, aber wie soll man das so genau wissen bei jemandem, der

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