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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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schaue genauer hin. Das Farmhaus sieht aus wie ein Vogel, der Schornstein ist der Kopf und der Hals, darunter befinden sich die glänzende Brust und hölzerne Schwingen, ja, das Gebilde sieht aus wie ein Vogel im Wasser.
    »Das ist ein Schwan, Todd«, sagt Tam.
    »Ein was ?«
    »Ein Schwan.«
    »Was ist das, ein Schwan?«, frage ich, ohne den Blick von dem Haus wenden.
    Einen Moment lang klingt sein Lärm verblüfft, dann spüre ich einen Anflug von Traurigkeit bei ihm.
    »Was ist?«, frage ich.
    »Nichts, Jüngelchen«, sagt er. »Nur Erinnerungen an längst vergangene Zeiten.«
    Viola und Hildy sind uns schon ein gutes Stück voraus, aber jetzt bleibt Viola stehen, Augen und Mund weit offen, wie ein Fisch.
    »Na, was habe ich dir gesagt?«, fragt Hildy.
    Viola rennt zum Gartenzaun. Sie starrt das Haus an, lässt ihren Blick über die Metallteile schweifen, mustert es von oben bis unten, von allen Seiten. Ich hole sie ein, bleibe neben ihr stehen. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte (halt die Klappe).
    »Das soll ein Schwan sein«, sage ich schließlich. »Was auch immer ein Schwan ist.«
    Sie beachtet mich nicht und fragt Hildy: »Ist das eine Expansion 3/500?«
    »Eine was?« Ich verstehe kein Wort.
    »Sogar noch älter, mein Kind«, antwortet Hildy. »Das ist eine X 3/200.«
    »Die Neueste, die wir hatten, war aus der Siebenerreihe«, sagt Viola.
    »Das wundert mich nicht«, entgegnet Hildy.
    »Was, zum Teufel, redet ihr da?«, frage ich. »Expansion X irgendwas ? «
    »Schafe!«, hören wir Manchee da in einiger Entfernung bellen.
    »Das Schiff, mit dem wir hergekommen sind«, antwortet Hildy erstaunt über meine Unwissenheit. »Eine Expansion Klasse drei, Serie 200.«
    Ich blicke ratlos in die Runde. In Tams Lärm erkenne ich ein fliegendes Raumschiff mit einer Bugverkleidung, die genauso aussieht wie das Haus, nur auf dem Kopf stehend.
    »Ach ja«, sage ich, denn jetzt fallen mir Bens Worte wieder ein, und ich tue so, als hätte ich es die ganze Zeit gewusst. »Man baut die Häuser mit dem, was gerade zur Hand ist.«
    »Ganz genau, Jüngelchen«, sagt Tam. »Man kann aber auch Kunstwerke daraus machen, wenn man Lust dazu hat.«
    »Und wenn man eine Frau hat, die eine so gute Technikerin ist, dass sie selbst die verrücktesten Dinge zusammenbaut«, wirft Hildy ein.
    »Woher kennst du das alles?«, frage ich Viola.
    Sie schweigt und weicht meinem Blick aus.
    »Heißt das ... «, fange ich an, frage dann aber nicht weiter. Denn jetzt verstehe ich.
    Natürlich, jetzt verstehe ich .
    Viel zu spät wie immer, aber ich fange endlich an, alles zu verstehen.
    »Du bist eine Siedlerin«, sage ich. »Ein neue Siedlerin.« Sie zuckt mit den Schultern.
    »Aber das abgestürzte Raumschiff ist doch viel zu klein.« »Wir waren nur Kundschafter«, erklärt sie. »Das Schiff, von dem ich komme, ist eine Expansion Klasse sieben.«
    Sie schaut Hildy und Tam an, die beide schweigen. Tams Lärm ist dröhnend und voller Neugier. Von Hildy kann ich gar nichts hören. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass Hildy bereits Bescheid wusste und ich nicht, dass Viola ihr dieGeschichte ihres Absturzes erzählt hat und mir nicht, vielleicht nur deshalb, weil ich nicht gefragt habe, trotzdem ist es bitter.
    Ich schaue zum Himmel auf.
    »Dort oben ist sie, nicht wahr?«, frage ich. »Die Expansion Klasse sieben.«
    Viola nickt.
    »Und da sind noch mehr Siedler. Menschen, die nach New World wollen.«
    »Als wir abgestürzt sind, ist alles kaputtgegangen«, erzählt Viola. »Ich habe keine Möglichkeit, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Keine Möglichkeit, sie zu warnen, damit sie fortbleiben.« Sie schaut mit einem leisen Stöhnen nach oben. »›Du musst sie warnen‹«.
    »Das hat er nicht gemeint«, sage ich schnell, »auf gar keinen Fall.«
    Viola verzieht das Gesicht. »Und warum nicht?«
    »Wer hat was gemeint?«, fragt Tam.
    »Wie viele?«, frage ich und lasse Viola dabei nicht aus den Augen, denn ich spüre, gleich wird sich die Welt für immer verändern. »Wie viele Siedler werden kommen?«
    Viola holt tief Luft, und ich gehe jede Wette ein, dass sie das noch nicht mal Hildy erzählt hat.
    »Tausende«, sagte sie. »Es sind Tausende.«

16
    Die Nacht ohne Vergebung
    »Wohl wahr, es werden Monate vergehen, bis sie herkommen«, sagt Hildy und häuft mir eine weitere Portion zerstampfter Kartoffeln auf den Teller. Viola und ich haben ganz dicke Backen, so viel stopfen wir in uns hinein, und so sind es Hildy und Tam, die

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