Die Flucht
Frieden«, sage ich und schubse ihn weg.
Hildy und Viola gehen immer weiter, und wenn ich jetzt nicht aufstehe, dann werde ich die beiden völlig aus den Augen verlieren.
Aber ich stehe nicht auf.
Ich kann sie immer noch reden hören, obwohl ihre Unterhaltung mit jedem Schritt leiser wird, keine von beiden vergewissert sich, ob ich ihnen noch folge.
Hildy , höre ich, und kleines Mädchen und verflixtes, undichtes Rohr und wieder Hildy und dann brennende Brücke .
Ich hebe den Kopf.
Denn da ist eine neue Stimme.
Eine Stimme, die ich nicht höre. Nicht mit den Ohren. Hildy und Viola entfernen sich immer weiter, aber da ist jemand, der auf sie zukommt, jemand, der die Hand hebt und sie grüßt.
Jemand, dessen Lärm sagt: Hallo .
15
Leidensgenossen
Es ist ein alter Mann, er trägt ebenfalls eine Waffe, aber sie hängt an seiner Seite, der Lauf zeigt zum Boden. Sein Lärm wird lauter, als er sich Hildy nähert, und bleibt laut, als er den Arm um sie legt und ihr zur Begrüßung einen Kuss gibt, knistert dann leicht, als der Mann sich umdreht und Viola vorgestellt wird, die überrascht scheint über den freundlichen Empfang.
Die verrückte Hildy ist mit einem Mann verheiratet, der Lärm aussendet.
Mit einem erwachsenen Mann, der so lärmend herumläuft, wie man sich’s nur vorstellen kann.
Wie kann das sein?
»He, Frischling!«, ruft Hildy. »Willst du den ganzen Tag herumstehen und an der Nase zupfen oder willst du mit uns zu Abend essen?«
»Abendessen, Todd!«, bellt Manchee und rennt schnurstracks zu ihnen.
Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, so belämmert bin ich.
»Noch so ein lauter Bursche!« Der alte Mann geht an Viola und Hildy vorbei auf mich zu.
Sein Lärm strömt aus ihm heraus wie ein fröhlicher Festzugaus unwillkommenen, willkommenen und aufdringlich guten Gefühlen. Kleiner und Brücke ... und undichtes Rohr und Leidensgenosse und Hildy, meine Hildy . Er hat zwar die Waffe bei sich, aber als er vor mir steht, streckt er mir seine Hand entgegen.
Ich bin so verblüfft, dass ich sie ergreife und schüttele.
»Ich heiße Tam!«, sagt der Alte lautstark. »Und wer bist du wohl?«
»Todd«, sage ich knapp.
»Freut mich dich kennenzulernen, Todd!« Er legt den Arm um meine Schultern und zieht mich energisch mit sich fort. Ich stolpere neben ihm her, falle beinahe hin, was ihn nicht hindert, mich zu Hildy und Viola zu zerren und dabei unaufhörlich zu reden. »Wohl wahr, wir hatten schon viele Monde lang keine Gäste mehr zum Abendessen, ihr müsst also mit unseren bescheidenen Verhältnissen vorliebnehmen. Von der anderen Flussseite ist schon viele Jahre keiner mehr hier gewesen, so um die zehn müssen es wohl sein, aber seid willkommen, ihr beiden, seid willkommen!«
Wir gesellen uns zu Viola und Hildy, und ich weiß noch immer nicht, was ich sagen soll. Ratlos wandert mein Blick erst zu Hildy, dann zu Viola und schließlich zu Tam und wieder zurück.
Ich will nichts weiter, als die Welt verstehen, was ist daran falsch?
»Gar nichts ist daran falsch, Frischling«, sagt Hildy freundlich.
»Wie kommt es, dass du sie nicht mit dem Lärmbazillus angesteckt hast?« Die Worte in meinem Kopf kommen mir endlich auch über die Lippen.
Plötzlich hüpft mein Herz wie verrückt, es hüpft so hoch, dass es mir fast die Augen aus dem Gesicht drückt. Ich habe einen dicken Kloß im Hals und mein Lärm schäumt weiß vor lauter Hoffnung.
»Habt ihr ein Gegenmittel?«, frage ich und meine Stimme versagt beinahe. »Gibt es Heilung?«
»Wenn es die gäbe«, erwidert Tam, immer noch ziemlich laut, »meinst du, ich würde dann meiner Umwelt den Müll zumuten, der mir aus dem Kopf sprudelt?«
»Das verhüte der Himmel«, sagt Hildy lächelnd.
»Und der Himmel verhüte, dass du mir nicht mehr sagen kannst, was ich denken soll.« Tam lächelt zurück, die Liebe, die in seinem Lärm mitschwingt, ist nicht zu überhören. »Falsch, mein Junge«, sagt er zu mir. »Dagegen gibt’s kein Heilmittel, jedenfalls keines, von dem ich weiß.«
»Nun ja«, sagt Hildy. »In Haven arbeitet man angeblich daran. Zumindest sagen das die Leute.«
»Welche Leute?«, fragt Tam zweifelnd.
»Talia sagt das«, meint Hildy. »Susan F. Meine Schwester.«
Tam bläst die Luft aus. »Darauf gebe ich nichts. Gerüchte, nichts als Gerüchte, mehr ist das nicht. Deiner Schwester kann man nicht mal glauben, wenn sie nur ihren Namen sagt, noch viel weniger, wenn es um etwas Wichtiges geht.«
»Aber ...«, beginne ich und
Weitere Kostenlose Bücher