Die Flucht
nicht, und er schreit: »Du Drecks...«, und ich hole mit dem Messer in der Hand aus, er weicht zurück, und ich schlage erneut nach ihm, Wasser rinnt mir aus den Augen, von dem heftigen Schlag und auch vom Regen, und jetzt steht er ein paar Schritte vor mir, sucht nach seinem Gewehr, sieht es im Schlamm liegen, dreht sich danach um, will es aufheben – aber da stürze ich mich schon auf ihn, schlage ihn nieder, er trifft mich mit seinem Ellenbogen, doch ich gehe nicht zu Boden, und mein Lärm tobt und seiner auch.
Keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, aber jetzt liegt erauf dem Rücken und ich drücke die Spitze meines Messers unter sein Kinn.
Wir beide hören auf zu kämpfen.
»Warum bist du hinter uns her?«, schreie ich ihn an. »Warum jagst du uns?«
Ich schreie meine Worte in sein blödes, kümmerliches, bartloses Grinsen.
Dann stoße ich ihm wieder mein Knie zwischen die Beine. Er stöhnt und spuckt mich an, aber ich habe noch immer das Messer in der Hand, das ihn jetzt geritzt hat.
»Mein Vater will dich haben«, sagt er schließlich. »Warum?«, frage ich. »Warum will er uns haben?«
»Uns?« Er reißt die Augen auf. »Es gibt kein Scheiß-Uns. Er will dich, Todd. Dich ganz allein.«
Ich kann es nicht glauben. »Warum?«, frage ich. »Warum denn?«
Er gibt keine Antwort. Er schaut in meinen Lärm. Er schaut und sucht.
»Hey!«, sage ich und schlage ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. »Hey! Ich hab dich was gefragt.«
Aber er grinst nur. Ich kann es verdammt noch mal nicht glauben, aber er grinst mich einfach nur an.
»Weißt du, was mein Vater zu sagen pflegt, Todd Hewitt?«, fragt er mit lauerndem Blick. »Er sagt: Ein Messer ist nur so gut wie derjenige, der es führt.«
»Halt die Klappe«, sage ich.
»Du bist ein Kämpfer, keine Frage.« Prentiss junior grinst weiter, er blutet immer noch leicht am Kinn. »Aber du bist kein Killer.«
»Halt die Schnauze!«, schreie ich, aber ich weiß, er kann inmeinem Lärm lesen, dass ich genau diese Worte schon einmal von Aaron gehört habe.
»Ach, ja?«, fragt er. »Und was wirst du jetzt machen? Mich töten?«
»Das werde ich!«, brülle ich. »Ich werde dich töten!«
Er leckt sich ein paar Regentropfen von den Lippen und lacht. Ich halte ihn am Boden fest, drücke ihm mein Messer unters Kinn – und er lacht.
»Hör auf!«, schreie ich und drücke ein wenig fester mit dem Messer zu.
Er lacht weiter, dann schaut er mich an und sagt ... Er sagt ...
Er sagt ...
»Willst du wissen, wie Ben und Cillian um Gnade gewinselt haben, bevor ich ihnen in den Kopf geschossen habe?«
Mein Lärm schäumt rot.
Ich fasse das Messer fester und will endlich zustechen. Ich werde ihn umbringen.
Ich werde ihn umbringen.
Und dann ...
Und dann ...
Und dann ...
Gerade, als ich ganz weit aushole ...
Gerade in dem Augenblick, in dem ich zustoßen will ... Gerade in dem Augenblick, in dem ich die Oberhand habe und alles tun kann, was ich will ...
Zögere ich ...
Wieder einmal.
Ich zögere ...
Nur eine Sekunde lang ...
Aber plötzlich bin ich verdammt noch mal wieder ganz al lein ...
Verdammt und verdammt und verdammt ...
Denn genau in dieser Sekunde tritt er zu, schleudert mich zur Seite und stößt mir den Ellenbogen gegen den Hals. Nach Luft schnappend kippe ich vornüber, und ich merke nur noch, wie er mir das Messer entreißt. So leicht, wie man einem kleinen Jungen seinen Lutscher wegnimmt.
»Und jetzt, Todd«, sagt er und richtet sich auf, »jetzt zeige ich dir, wie man mit so einem Messer umgeht.«
24
Tod eines nichtsnutzigen Feiglings
Ich verdiene es. Ich habe alles falsch gemacht. Ich verdiene es. Wenn ich mein Messer noch hätte, würde ich mich damit umbringen. Außer dass ich auch dazu viel zu feige bin.
»Du bist mir schon einer, Todd Hewitt«, sagt Prentiss junior und betrachtet das Messer genauer.
Ich kauere am Boden, im Dreck kniend, japsend, die Hand gegen den Hals gedrückt.
»Du hättest den Kampf gewonnen, aber dann hast du’s vermasselt.« Mit dem Finger streicht er ganz langsam über die Klinge. »Nicht nur feig, sondern auch dämlich.«
»Bring es endlich zu Ende«, murmle ich.
»Was ?«, erwidert Prentiss junior, und da ist es wieder, dieses Grinsen. Sein Lärm lodert hell.
»Bring’s zu Ende!«, keuche ich etwas lauter.
»Oh, ich werde dich ganz bestimmt nicht umbringen«, sagt er mit blitzenden Augen. »Das würde meinem Pa gar nicht gefallen.«
Er tritt ganz nah an mich heran und hält mir das Messer vors
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