Die Flucht
eine Ahnung! Sie haben mit dem Krieg angefangen. Sie haben meine Mutter getötet. An allem, an allem, was geschehen ist, sind sie schuld!«
Und dann muss ich mich übergeben.
Und ich kann nicht aufhören, mich zu übergeben.
Und als sich mein Lärm endlich zu beruhigen scheint, übergebe ich mich wieder.
Mein Kopf berührt fast den Boden.
Die Welt steht still.
Die Welt steht immer noch still.
Von Viola höre ich keinen Laut, da ist nur ihre Stille. Mein Rucksack drückt mir schwer gegen den Nacken, als ich mich nach vorn beuge. Ich schaue nicht zu der Stelle, wo der Spackle liegt.
»Er hätte uns umgebracht«, sage ich schließlich und blicke nicht vom Boden auf.
Viola erwidert nichts.
»Er hätte uns umgebracht.«
»Er hatte Angst!«, schreit Viola mit versagender Stimme. »Sogar ich habe gesehen, wie sehr er sich gefürchtet hat.«
»Er wollte seinen Speer holen«, sage ich und hebe den Kopf.
»Weil du ihn mit einem Messer bedroht hast!«
Jetzt sehe ich sie an. Ihre Augen sind weit aufgerissen, ihr Blick wird immer leerer, wie damals, als sie alles um sich herum vergaß und sich hin- und herzuwiegen begann. »Sie haben jeden in New World getötet«, sage ich.
Wütend schüttelt sie den Kopf. »Du Idiot, du blöder, gottverdammter Scheißidiot!«
Sie sagt es genau so und nicht anders.
»Wie oft hast du schon festgestellt, dass das, was man dir erzählt hat, nicht stimmt?«, fragt sie mit verzerrtem Gesicht und weicht immer weiter zurück. »Wie oft schon?«
»Viola ...«
»Hat man nicht alle Spackle im Krieg umgebracht?«, fragt sie, und, mein Gott, wie ich die Furcht in ihrer Stimme hasse. »Na? Hat man das nicht gesagt?«
Da verglimmt auch das allerletzte Fünkchen Zorn in meinem Lärm, und ich merke, dass ich schon wieder zum Narren gehalten wurde.
Ich drehe mich zu dem Spackle um.
Ich lasse meinen Blick über sein Lager schweifen.
Ich sehe die Fische, die er an Schnüren zum Trocknen aufgehängt hat.
Und (nein, nein, nein, nein!) ich denke an die Angst, die mir aus seinem Lärm entgegengeschrien hat (nein, nein, nein, bitte nein!).
Ich bin innen völlig leer und muss mich trotzdem übergeben.
Ich bin ein Mörder.
Ich bin ein Mörder.
Ich bin ein Mörder.
(Oh nein, bitte nein!) Ich bin ein Mörder.
Ich fange an zu zittern. Ich schlottere so sehr, dass ich nicht mehr aufstehen kann. Ich höre mich immer wieder Nein sagen, und die Angst im Lärm des Spackle hallt in meinem wider. Es gibt keinen Ort, an den ich vor ihm fliehen könnte, an dem ich vor ihm sicher wäre, der Lärm ist einfach da und dort und überall, und ich zittere so sehr, dass ich mich nichteinmal auf allen vieren halten kann. Ich falle hin, immer noch sehe ich überall Blut, und der Regen spült es nicht fort.
Ich kneife die Augen zu, so fest ich kann.
Um mich ist Schwärze.
Schwärze und Leere.
Wieder einmal habe ich alles kaputt gemacht. Wieder einmal habe ich alles falsch gemacht.
Wie aus weiter Ferne höre ich Viola meinen Namen rufen. Sie ist so weit weg.
Und ich bin allein. Ich bin hier und für immer allein. Wieder höre ich meinen Namen.
Etwas zupft mich am Arm.
Ich schlage die Augen erst auf, als ich Lärmfetzen höre, die nicht von mir stammen.
»Ich glaube, hier draußen sind noch mehr von ihnen.« Viola hat sich zu mir heruntergebeugt und flüstert mir ins Ohr.
Ich hebe den Kopf. Mein eigener Lärm ist so mit Dreck und Entsetzen angefüllt, dass es mir schwerfällt, die Lärmfetzen zu verstehen. Es regnet dicke Tropfen, und ich frage mich einen törichten Augenblick lang, ob wir jemals wieder trocken sein werden, und dann höre ich es auch, ein undeutliches Murmeln zwischen den Bäumen, unmöglich zu sagen, woher es kommt, aber es ist da, ohne Zweifel.
»Wenn sie uns vorher nicht töten wollten«, sagt Viola, »dann ganz sicher jetzt.«
»Wir müssen weg von hier.« Ich versuche auf die Beine zu kommen. Ich zittere wie verrückt und brauche deshalb ein, zwei Anläufe, aber dann schaffe ich es.
Ich halte noch immer das Messer in der Hand. Es ist klebrig vom Blut.
Ich werfe es weg.
Viola sieht schrecklich aus, ihr Gesicht ist zerquält von Trauer, Angst und Entsetzen, alles darin springt mich an, springt mich direkt an, aber es ist wie immer, wir haben keine Wahl. Deshalb sage ich einfach nur: »Wir müssen weg«, und ich gehe und hole Manchee, dort wo sie ihn hingelegt hat, an der trockenen, windgeschützten Seite des Felsvorsprungs, unter dem der Spackle hauste.
Ich hebe ihn hoch, er
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