Die Fluchweberin
also nicht geirrt.
»Und nein«, fuhr er fort, »ich habe keine Ehrenrunde hingelegt. Zumindest nicht absichtlich.« Wieder kicherten ein paar. »Dummerweise gab es nicht in jedem Land, in dem mein Dad für den diplomatischen Dienst tätig war, eine Schule, die auch hier anerkannt wird. Deshalb musste ich ein Jahr wiederholen, und nachdem ich mit dem ganzen Schulsystem hier nicht mehr sonderlich vertraut bin, hat mir Mr Cranston Raine als Patin zur Seite gestellt.«
Der Kerl war clever! Indem er mich als seine Patin vorstellte, wussten die anderen gleich, dass er nicht freiwillig mit mir herumhing. Auch wenn er vorhin nicht geklungen hatte, als würde ihm das etwas ausmachen, hatte er es sich wohl anders überlegt, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich hier nicht gerade zur Crème de la Crème gehörte.
Da sich die Klassenzusammensetzung von Fach zu Fach veränderte, erzählte er mehr oder weniger denselben Text in jeder neuen Stunde. Und obwohl einige seine Ansprache bereits mindestens einmal gehört hatten, schaffte er es, ihnen immer wieder ein Kichern zu entlocken. Nach dem dritten Mal begann ich seine Texte in Gedanken mitzusprechen, um herauszufinden, an welcher Stelle er seine Wortwahl änderte. Bis auf einige Füllwörter blieb seine Ansprache immer gleich. Im Vergleich zu anderen Schülern, die sich stotternd vor ihre neue Klasse stellen und vor Verlegenheit am liebsten im Boden versinken würden, hatte Skyler seinen Text gelernt. Aber er war talentiert, denn auch wenn nichts an seiner kleinen Rede spontan war, wirkte sie trotzdem natürlich und zu keiner Zeit einstudiert.
3
Der Vormittag war anstrengend.
Crème de la Crème hin oder her, Skyler hing wie eine Klette an mir, folgte mir in jeden neuen Klassenraum und löcherte mich mit Fragen. Statt sich aber nach den Lehrern, den Unterrichtsfächern und seinen neuen Mitschülern zu erkundigen, drehte sich jede einzelne seiner Fragen um mich. Wie lange ich schon hier war, was ich in meiner Freizeit machte, was ich nach der Schule mit meinem Leben anfangen wollte und ob ich lieber am Freitag- oder Samstagabend mit ihm ausgehen wollte?
Die letzte Frage warf mich aus der Bahn. Die letzte Stunde vor der Mittagspause war um, ich war dabei, meine Unterlagen wegzupacken, und ließ prompt mein Notizbuch fallen.
»Ob ich was?«
Skyler hob das Buch auf und hielt es mir hin. Statt es gleich zu nehmen, starrte ich ihn an. Er grinste. »Freitag oder Samstag? Was ist dir lieber? Wann kommt man besser von hier weg?«
Ich wollte ihm sagen, dass ich nicht vorhatte, mit ihm auszugehen, suchte aber noch nach einer höflichen Formulierung, als Max bei uns auftauchte.
»Hi, Raine.«
»Hi.«
Max Newman war ein klassischer Mädchenschwarm. Groß, durchtrainiert und mit einem Lächeln, das Stahl zum Schmelzen bringen konnte. Doch Max war niemand, der sein Aussehen ausnutzte. Er war einfach ein netter, hilfsbereiter Kerl, der irgendwie an Kim Randall hängen geblieben war.
Er wandte sich an Skyler. »Ich bin Max. Spielst du Basketball?«
Ich schnappte mir mein Notizbuch aus Skylers Hand, stopfte es in meine Tasche und machte mich aus dem Staub, solange Max Skyler noch in Beschlag nahm. Wenn Skyler klug war, würde er sich an Max hängen und sich der In-Clique anschließen, statt mir weiter hinterherzulaufen.
Auf dem Gang heftete sich Ty an meine Fersen. Ich drückte ihm meine Geschichtsnotizen in die Hand, doch statt sich damit zum Kopierer zu verziehen, lief er weiter neben mir her.
»Und?«, fragte er schließlich, als wir schon auf halbem Weg zum Speisesaal waren. »Wie ist der Neue so?«
Ich zuckte die Schultern. »In Ordnung, denke ich.«
Ty grinste. »Wer hätte gedacht, dass es den alten Cranston dazu braucht, damit du endlich mal einen Freund abbekommst.«
»Hey, ich bin hier nur der Fremdenführer!«
Sein Grinsen wurde noch breiter. »Reden wir in zwei oder drei Wochen noch einmal darüber.« Er bog in den Gang ein, in dem das Sekretariat lag, und wedelte mit meinen Notizen in der Luft. »Ich bring sie dir später vorbei.«
Zehn Minuten später, ich hatte mir gerade einen freien Tisch im Speisesaal gesucht, sah ich, wie Skyler sich mit seinem Tablett einen Weg zwischen den Tischen hindurch bahnte. Er bewegte sich so selbstbewusst, als wäre er seit Jahren hier an der Schule und nicht erst seit einem halben Tag.
Max winkte ihm vom In-Tisch im Zentrum aus zu und bedeutete ihm, sich zu ihm und seinen Freunden zu setzen. Doch Skyler schüttelte nur den
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