Die Fluchweberin
geschlossenen Lidern eine blühende Landschaft. Anfangs war sie nur ein grüner Fleck, doch dann kamen immer mehr Details hinzu. Rote und gelbe Blumen, ein wolkenloser blauer Himmel, von dem die Frühlingssonne auf mich herabschien, Vogelgezwitscher. Und irgendwo summte eine Biene. Nein, keine Biene, das Geräusch war zu dumpf – es war eine Hummel. Jetzt sah ich den runden behaarten Körper, der direkt auf mich zuflog. Schwankend, als hätte sie zu viel getrunken, dabei kämpften die kleinenFlügel nur darum, das Gewicht der Hummel in der Luft zu halten.
Das Brummen wurde lauter.
Und veränderte sich.
Dumpfe Stimmen. Polternde Schritte. Die Wiese verblasste vor meinen Augen und plötzlich war ich wieder fünf Jahre alt und saß in meinem Kleiderschrank. Wo vorher noch ein Brummen war, hörte ich jetzt Geschrei. Dad! Ich kniff die Augen fest zu und presste mir die Hände auf die Ohren, um die Stimmen und Geräusche auszusperren, doch es half nichts. Sie waren in meinem Kopf, so tief verwurzelt, dass nichts und niemand sie zum Schweigen bringen konnte.
Dad brüllte, einer der schwarzen Männer bellte seine Befehle.
Dann der Schuss.
Gefolgt von Moms Schreien.
»Nein. Nein. Nein.« Das war ich in meinem Versuch, mich aus der Erinnerung zu lösen. Ein Teil von mir wusste, dass ich mir das alles nur einbildete, doch meine Panik behielt die Oberhand. Solange ich in der Dunkelheit gefangen saß, würde es mir nicht gelingen, sie abzuschütteln.
Tatsächlich wurde es schlimmer. So schlimm, dass in meinem Kopf bald nur noch eine Mischung aus Schüssen und Moms Schreien zu hören war. Wie ein anhaltender Donnerhall, der in einem nicht enden wollenden Sturm über mich hinwegfegte.
Ein Wimmern saß in meiner Kehle und fand seinen Weg nach draußen. Meine Haut brannte und mein Kopf schien jeden Moment explodieren zu wollen.
Immer wieder versuchte ich mir zu sagen, dass es nicht echt war und dass ich lediglich einen Panikanfall erlitt, doch meine Vernunft hatte sich in eine kleine Ecke meines Geistes verzogen und ließ sich nicht mehr hervorlocken.
Jeden Moment würde jemand die Tür aufreißen und einen Gewehrlauf auf mich richten. Ich würde Dad sehen, wie er auf dem Boden lag, das Gesicht in einer Blutlache, die stetig größer wurde.
Kalter Schweiß bedeckte meine Haut, ich zitterte am ganzen Körper und hatte nicht mehr die Kraft, meine Hände über die Ohren zu halten. Die Geräusche waren überall.
Stimmen.
Schritte.
Der Schuss.
Mein Herz raste und meine Brust hob und senkte sich unter immer hektischer werdenden Atemzügen.
Ich kniff mich, so fest ich konnte, in den Arm. Der aufflammende Schmerz ließ die Stimmen in den Hintergrund treten. Sie verschwanden nicht, doch sie wurden leiser, als hätte jemand die Lautstärke heruntergedreht. Plötzlich konnte ich meine eigenen Gedanken wieder hören.
»Putzkammer.« Meine Stimme kratzte schmerzhaft in meinem Hals. »Du bist in einer Putzkammer.«
Ich war siebzehn und nicht mehr fünf!
Die Erkenntnis brachte die letzten Stimmen aus der Vergangenheit zum Verstummen. An meiner Situation jedoch änderte sie nichts. Ich war noch immer eingesperrt in dieser klaustrophobischen Enge und wurde langsam von der Dunkelheit erstickt.
Wie lange war ich schon hier?
Minuten?
Stunden?
Ich wusste es nicht, glaubte jedoch zu spüren, wie der Sauerstoff mehr und mehr schwand. Es war heiß und stickig, das Atmen fiel mir schwer.
Ich musste noch einmal versuchen, jemanden auf mich aufmerksam zu machen.
An die Wand gestützt kam ich langsam auf die Beine. Meine Knie zitterten so sehr, dass sie nachzugeben drohten. Ich ballte die Hände zu Fäusten, doch noch ehe ich den ersten Schlag gegen das Holz anbringen konnte, knickten meine Beine unter mir ein. Ich taumelte zur Seite, versuchte den Sturz an einem Regal abzufangen, doch meinen Händen fehlte die nötige Kraft, um zuzupacken.
Ich fiel auf den Boden und blieb liegen.
7
Ich weiß nicht, wie lange ich so dalag, zitternd und um Atem ringend, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Ein kühler Luftschwall fuhr über mich hinweg und mit der Luft kam das Licht. Doch so schnell es gekommen war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Ein Schatten legte sich über mich.
»Raine.« Eine Hand berührte mich sanft an der Schulter. »Mein Gott, geht es dir gut?«
Blinzelnd wandte ich den Kopf in Richtung der Stimme und blickte in Skylers Gesicht. Ich wollte ihm sagen, dass ich in Ordnung war, wusste aber nicht, wie
Weitere Kostenlose Bücher