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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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ist passiert? Wer hat dir das angetan?«
    Ich wagte nicht, ihn anzusehen. Zu sehr fürchtete ich, meine Selbstbeherrschung zu verlieren, wenn ich die Sorge in seinen Zügen sah, die seiner Stimme so deutlich anzuhören war. Wenn ich jetzt zusammenbrach, würde er nicht nur Antworten von mir verlangen – ich würde sie ihm geben. Weil ich zu schwach war, mich länger zusammenzureißen. Ich biss mir auf die Lippe und schwieg, den Blick weiterhin starr auf den Boden gerichtet.
    »Komm«, sagte er noch einmal. Dieses Mal griff er nach meiner Hand, statt mich vor sich herzuschieben.

 23 
    Skyler führte mich aus dem Haus und durch den Park. Hinter dem Schuppen, an der Stelle, an der Kim mich angegriffen hatte, jene Stelle, die einmal mein Rückzugsort gewesen war, hielt er an und deutete auf den Hackstock.
    »Setz dich, ich will mir deinen Rücken ansehen.«
    »Da gibt es nichts zu sehen.«
    »Raine, bitte.«
    Ein wenig widerwillig ließ ich mich auf dem Hackstock nieder und wandte ihm den Rücken zu. Behutsam schob er meine Bluse nach oben. Seine Hand zitterte und sein Atem kam in schnellen, zornigen Stößen, die mir verrieten, dass er denjenigen am liebsten in der Luft zerrissen hätte, der mir das angetan hatte. Vorsichtig ließ er den Stoff wieder nach unten gleiten und drehte mich zu sich herum. Er stand so dicht vor mir, dass ich den Kopf heben musste, um ihm in die Augen sehen zu können.
    »Brauchst du etwas gegen die Schmerzen?«
    Ich war versucht zu nicken. Vermutlich ging sein Repertoire an Medikamenten weit über mein popliges Aspirin hinaus, und wenn ich mir etwas wünschte, dann, dass die Schmerzen aufhörten. Trotzdem zögerte ich. In den letzten Tagen hatte ich mir schon zu viele Tabletten eingeworfen. Was, wenn die Chemikalien mein Reaktionsvermögen derart beeinträchtigten, dass sie es diesem Wesen erleichterten, die Kontrolle über mich zu übernehmen?
    »Ich bin okay«, sagte ich.
    Einen Moment noch sah er mich an, als hätte er meine Lüge durchschaut, dann nickte er. »Wenn du es dir anders überlegst …«
    »Danke.«
    Er streckte die Arme nach mir aus, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne. Ob aus Angst, mir mit seiner Berührung wehzutun, oder weil er sich daran erinnerte, dass unser Verhältnis im Augenblick ein wenig angespannt war, vermochte ich nicht zu sagen. Mit einem leisen Seufzer ließ er die Arme sinken, nicht ohne dabei fast schon schüchtern über die meinen zu streichen. Je länger ich ihn beobachtete und je mehr ich über sein Verhalten nachdachte, desto mehr kam ich zu dem Schluss, dass er mir nichts vorspielte. Anfangs mochte ich nur ein Teil seines Auftrags gewesen sein, jemand, der ihm seine Arbeit erleichtern sollte. Mittlerweile glaubte ich jedoch, dass ihm tatsächlich seine Gefühle in die Quere gekommen waren. Allein die Art, wie er mich jetzt ansah, in dieser Mischung aus Sorge und Frustration. Dieselbe Frustration, die auch ich empfand, seit ich begriffen hatte, dass ich ihn nicht mehr an mich heranlassen durfte.
    Was, wenn wir doch noch eine Chance hatten? Vielleicht waren seine Gefühle für mich stark genug, um ihn darüber hinwegsehen zu lassen, was ich war. Womöglich würde er die Wahrheit akzeptieren und wir konnten zusammen sein.
    Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf. Ganz gleich, wie sehr ich ihn mochte, dieses Risiko würde ich niemals eingehen. Und darauf, dass wir zusammen sein und ich gleichzeitig mein Geheimnis für mich behalten konnte, machte ich mir keine Hoffnung.
    Ich konnte nichts weiter tun, als die verbleibende Zeit mit ihm genießen, ohne ihn dabei merken zu lassen, wie viel er mir bedeutete. Wenn sein Auftrag beendet war, musste er Holbrook Hill in der Überzeugung verlassen, dass es zwischen uns keine Gefühle gab. Nichts, das stark genug war, ihn in meiner Nähe zu halten. Auch wenn ich mich noch immer nach ihm sehnte.
    Ich weiß nicht, ob es das Wissen war, den Richtigen gefunden und wieder verloren zu haben, oder ob es lediglich an den Temperaturen lag, dass ich zu zittern begann. Skyler zog seinen Schulblazer aus und hielt ihn mir hin. »Hier, zieh den an.«
    Vorsichtig schlüpfte ich hinein. Der Geruch seines Aftershaves hing darin und stieg mir in die Nase. Ich schloss die Augen und atmete tief ein.
    »Wie ist das passiert, Raine? Wer hat dir das angetan?«, stellte er schließlich die Fragen, vor deren Beantwortung ich mich fürchtete. »War das Kim?«
    Das Einfachste wäre es gewesen, ihn in dem Glauben zu lassen, ich sei

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