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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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hielt die Papiere zwischen den Fingern. Das Geländer kippte um. Er fiel. Auch die Rampe war plötzlich weg. All das geschah im Bruchteil einer Sekunde.
    Einmal war es hell, dann wieder dunkel. Um ihn herum flackerte es, und er hatte das Gefühl, als würde die Zeit rasend schnell an ihm vorbeiziehen, bis sie sich verlangsamte und in ihm zu Sekunden wurde. Er fühlte sich wie ein Mensch, der auf einer Welt gestrandet ist, deren Zeitablauf schneller vor sich geht. Er erwachte in einem Hospital in der Nähe des Hafens. Man untersuchte ihn. Er hatte Schmerzen. Sein Körper war in einen Gewebesarg eingebettet – nein, in seine auf nichts reagierende Haut. Er war nackt. Das Zimmer roch nach antiseptischen Mitteln. Er schlief ein und erwachte auf Solon, der Welt der Mediziner. Sie schoben ihn in eine Körperrekonstruktionseinheit hinein und versorgten ihn mit neuen Gelenken, die zwei Tage später fest wurden. Sie transplantierten, ersetzten, operierten und veränderten. Sie stopften ihn mit Drogen voll. Dann – zu seiner Erleichterung – setzten sie ihn wieder davon ab. Und wieder verfloß die Zeit.
    Während der langsam dahinschleichenden Monate im Hospital dachte Jason über Aerie nach. Er ließ den Krankenhausgeruch außen vor, vergaß die Anwesenheit der androidischen Angestellten und das Zerren der Systeme, die ihn am Leben erhielten, und baute vor seinem inneren Auge eine eigene Welt auf.
    Aerie, gesehen von einem Schiff, das gerade aus dem Greifer kommt. Eine Welt voller blauer Ozeane mit weißen Polen, die von Wolkenbänken bedeckt sind. Der Planet ging regungslos vor dem Hintergrund der Sterne. Zwei dicklich wirkende Monde, die so perfekt abgerundet sind, daß sie beinahe absurd wirken. Als das Schiff sich in einen engen Orbit schwingt, tauchen die Inseln auf, die den Äquator säumen. Schweigend formen Jasons Lippen ihre Namen. Er schmeckt die einzelnen Silben beinahe: To’an Elt. To’an Ako. To’an Eriant liegt beinahe am Rand der arktischen Masse. To’an ba Eiret. To’an Betes. Und To’an Cault, sein Zuhause. Das Zubringerboot gleitet über die braunen Ebenen und grünen Berge von Betes dahin, dann über die Meerenge (grün-blau-weiß) und nähert sich dem massiven, zur Seeseite hin abfallenden Ufer von To’an Cault. Da gibt es weiße Klippen, auf denen kleine, graue Gewächse und Kaskaden von blaugrünen Ranken wuchern. Dazwischen das Geflatter der Vögel. Die Klippen verflachen sich landeinwärts und gehen über in das kleine Tal, in dem sich das Anwesen, das Stallgebäude, die Felder und Haven befinden. Dahinter liegen Fels und Gestein, und dahinter die Wälder: Kaedos, deren dicke Zweige sich dem Himmel entgegenrecken; die zarten, herrlichen Fäden der Halaeas, magentafarbene, vierflügelige Vögel, darüber die Luftblumen und der saubere, süße Geruch der Heimat. Jason steht in der Luke des Zubringers und ist nicht in der Lage, diesen Augenblick der Ekstase zu durchbrechen. Erst als jemand spricht und er das Gefühl hat, daß seine Eingeweide sich regen, bringt er es fertig, die Augen zu öffnen und einen Blick auf die Maschinen und Monitoren zu werfen, die ihn am Leben halten.
    Er verspürt einen Schmerz, dann kommt das Schiff erneut aus dem Greifer, und Aerie liegt wie ein Edelstein vor ihm im All.
    Aber wie das Programm der Ärzte es nun einmal wollte, war er besinnungslos, als das Zubringerboot ihn nach To’an Cault hinunterbrachte. Er kam in seinem Schlafzimmer wieder zu sich und starrte an die Holzwände, die dunkle Decke und die nachmittäglichen Sonnenstrahlen, die den Raum durchzogen. Der Geruch von antiseptischen Mitteln überlagerte auch hier den Duft der Luftblumen und der See. Die Lebenserhaltungssysteme summten leise vor sich hin. Einen Moment lang verstand Jason überhaupt nicht, wo er war.
    „Jason?“
    Er zwang seinen Geist, das langsam fließende, nur ihm allein gehörende Universum zu verlassen, wandte den Kopf und versuchte das, was er sah, zu interpretieren. Der junge Arzt stand neben dem Bett. Ohne seine hospitalmäßige Schutzkleidung sah er ziemlich verwundbar aus. Er lächelte und hob den Kopf. Jason gab sich alle Mühe, etwas Verständliches zu sagen.
    „Zu Hause?“
    „Ja. Ihre Frau glaubte, es sei besser so.“
    Jason dachte darüber nach.
    „Kriegen Sie mich wieder hin?“
    „Ganz nicht, leider. Wir haben darüber gesprochen. Aber Sie werden wieder herumlaufen können. Sie werden nicht das ganze Leben im Bett verbringen müssen. Ihre Frau war ziemlich

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