Die Flüchtlinge
Mish?
Sie kommt bald. Hab Geduld.
Ich habe Magenschmerzen. Sie ziehen bis ins Hirn hinauf. Ich will eine Spritze, damit ich die Zeit nicht spüre, die vergeht, bis Mish nach Hause kommt.
Dann wird alles besser werden.
Wo ist Mish?
Am nächsten Morgen versorgten Meya und die Zwillinge ihn mit einem Frühstück. Sie blieben, bis er fertig war, liefen in seinem Zimmer hin und her, zerbrachen die Stille, rissen das Fenster auf und ließen das helle Morgenlicht und den Geruch von frischem Tau herein. Meyas dichtes, schwarzes Haar, das ständig hin und her schwang, erinnerte ihn an Mish. Wenn sie den Kopf schüttelte und über einen von Jareds Witzen lachte, wurde sie ihr noch ähnlicher. Decca saß neben seinem Bett und starrte die Monitore an.
„Was machen sie?“ fragte sie.
Jason erklärte es ihr mit langsamen Worten. Es bereitete ihm große Schwierigkeiten, die einzelnen Silben zu formen und verständlich über die Lippen zu bringen. Decca hörte ihm nachdenklich zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Es tut weh“, stellte sie schließlich fest.
„Natürlich tut es weh“, warf Jared ein. „Sei doch nicht so dumm!“
„Bin ich gar nicht“, verteidigte sich Decca.
Meya brachte die Kinder zur Ruhe und schenkte Jason eine Tasse heißen Tee ein. Jared bestrich einen Keks für ihn mit Butter. Die Kinder erschienen ihm wie flinke, kleine Vögel, die sein Zimmer im Sturm genommen hatten und nun ein fremdartiges Lied sangen. Selbst wenn sie sich nicht bewegten, schienen sie hin und her zu huschen. Meya erzählte ihm etwas von den Spielen dieser Jahreszeit und nahm dabei zur Verdeutlichung die Hände zu Hilfe.
Als sie gingen, fühlte er sich müde, ausgelaugt und traurig. Auf den Feldern riefen die Kasiren einander etwas zu, und in der Küche schimpfte Mim die Köchinnen aus.
Dann betraten Ozchan und Quilla gemeinsam sein Zimmer. Während Quilla am Fuße seines Bettes stand und ihn ansah, justierte der Arzt die Geräte. Jason starrte die Wand an.
„Jes kommt in zwei Monaten nach Hause“, sagte Quilla. „Mish hat uns wissen lassen, daß sie ein paar Tage später ebenfalls hiersein wird.“ Sie machte eine Pause. „Ved Hirem hat gesagt, daß er dich sehen möchte, aber er kann keine Treppen steigen. Wegen seiner Arthritis.“
Als er immer noch nichts sagte, machte sie ein ärgerliches Geräusch und ging hinaus. Ozchan versuchte ihn dazu zu überreden, sich in den Rollstuhl zu setzen. Jason schenkte ihm kein Gehör. Schließlich ging der Arzt ebenfalls.
Sein Körper fühlte sich an, als sei er gar nicht vorhanden. Tot. Jason bewegte die Finger des kranken Armes, aber mehr als das konnte er nicht. Seine Beine waren schlaff; er konnte sie überhaupt nicht fühlen. Manchmal allerdings übersandten sie ihm betrügerische Botschaften, die er stets glaubte, obgleich er sich nachher immer wieder dafür schämte. Zwar hatte man den Großteil seiner Verbrennungen behandeln können, aber er wußte, daß die Haut auf seiner linken Körperhälfte häßlich und verschrumpelt aussah.
Mim brachte das Mittagessen und beschwerte sich über einige Haushaltsangelegenheiten. Jason ignorierte sie.
Ob Mish ihn in diesem Zustand überhaupt noch haben wollte? Er war nur noch eine Ansammlung aus Narben und Nutzlosigkeit. Häßlich. Die Schatten in seinem Zimmer wanderten. Jason wies das Abendessen zurück und bat Ozchan darum, ihn früher abzuschalten. Zumindest sein Schlaf war narbenlos. Noch.
Am nächsten Morgen besuchte ihn Tabor und spielte auf seiner Flöte. Jes hatte ihn im Hospital besucht und ihm ebenfalls etwas vorgespielt. Musik als Ersatz für die Worte, die ihm gefehlt hatten. Jason bat Tabor, er solle wieder gehen.
Nachmittags kam Hoku.
„Was machen Sie hier?“ fragte Quilla.
Ozchan berührte das Blatt einer Zimania und lächelte sie an. „Ich gehe spazieren. Da ich ja eine Weile hierbleiben werde, habe ich mir gedacht, sieh dich ein wenig um.“
Quilla ließ den Ast wieder zurückgleiten und ging auf den nächsten Busch zu. Ozchan kam hinter ihr her. Sie drückte einen Ast beiseite, langte nach dem Stengel und überprüfte die Saftkollektoren, die an der narbigen Borke befestigt waren.
„Ich habe Ihren Vater mit Hoku allein gelassen“, sagte Ozchan. „Sie hat ihn tüchtig in die Zange genommen.“
„Sie hat Haare auf den Zähnen“, sagte Quilla ohne aufzuschauen.
„Sie hat ihm was über Selbstmitleid erzählt. Sie nimmt wirklich kein Blatt vor den Mund.“
„Er wird es
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