Die Flüchtlinge
ein zweites Mal ausgeraubt zu werden. Nur war es damals noch schlimmer. Beim ersten Mal hatte ich immerhin noch meine Familie; beim zweiten Mal blieb mir überhaupt nichts mehr.“
„Hart …“
„Ich ließ mich anfangs deswegen nicht sehen, weil ich wütend war. Später habe ich mich dann geschämt. Aber diesmal mußte ich einfach zurückkommen. Um dich zu sehen. Ich wollte versuchen, mit dir und der Familie wieder ins reine zu kommen.“
„Auch mit den Eingeborenen?“
„Vielleicht auch das. Wenn auch indirekt.“ Hart nahm erneut die Hand seines Vaters und sah ihn an.
„Ich werde nächstes Jahr graduiert werden“, sagte er. „In Biomedizin und Chemie. Ich werde ein Chirurgiediplom bekommen. Ich bin gut, Jason. Ich bin der beste meines Semesters. Ich habe in den vergangenen drei Jahren für einige Firmen gearbeitet, die in der Nähe der medizinischen Fakultät liegen. Ich habe sogar ein paar eigene Entwicklungen gemacht.“
Jason sah ihn schweigend an.
„Ich kann dir deinen Körper zurückgeben“, sagte Hart. „Ich kann dir einen ganz neuen, funktionierenden Körper verschaffen.“
„Das hat man schon versucht. Es hat nicht geklappt.“
Hart machte eine abschätzige Geste. „Klempner! Flickwerk-Experten! Natürlich hatten sie keinen Erfolg, weil sie das Pferd stets am Schwanz aufzäumen. Aber ich weiß, wie man so was macht. Ich kann es hinkriegen.“
„Und wie?“
„Es ist kompliziert, und ich glaube nicht, daß du es verstehen würdest. Was die technische Seite angeht, so würden dir Erklärungen nichts einbringen. Aber es handelt sich um eine Sache, die ich selbst entwickelt habe. Und sie funktioniert. Kann ich das für dich tun, Jason? Willst du, daß ich versuche, dir zu helfen?“
„Was willst du tun?“
„Ich sagte doch, es ist sehr kompliziert. Aber ich verspreche dir, daß es geht.“
„Ich möchte es aber wissen.“
„Traust du mir nicht?“
„Nein. Flaschen, Regale, tote Kasiren. Ich habe dich seit sieben Jahren nicht gesehen, Hart. Ich weiß nicht, wie du jetzt bist. Ich weiß nicht, ob du dich verändert hast.“
„Das wird mir wohl für den Rest meines Lebens anhängen, nicht wahr?“ fragte Hart. Er stand ziemlich ungehalten auf. „Ihr werdet mich das niemals vergessen lassen. Ihr werdet mir auch niemals vergeben. Ich hätte es wissen sollen.“
Jason hob flehentlich die Hand. „Hart …“
Hart stellte den Monitorknopf in seine ursprüngliche Position zurück. Jasons Hand taumelte, dann fiel sie auf die Bettdecke. Hart wartete, bis der Atem seines Vaters wieder tief und regelmäßig war, dann richtete er noch einmal das Kissen und zog die Decken gerade. Das erhellte Lichtquadrat hatte sich inzwischen weiterbewegt. Jason lag nun in der Finsternis. Hart machte die Lampe aus und ging auf den Korridor hinaus. Nachdem er leise die Tür hinter sich geschlossen hatte, schürzte er die Lippen, pfiff ein stummes Lied und schlenderte in sein Zimmer zurück.
„Wohin gehen Sie?“ fragte Ozchan.
Meya zuckte nervös zusammen und wirbelte herum.
„He, ich wollte Sie nicht erschrecken.“
„Schon gut“, erwiderte sie und lachte. „Ich habe Sie gar nicht kommen hören. Ich gehe runter, Caraem spielen.“
„Caraem?“
„Ein Spiel. Die Leute scheint es anzuregen.“
„Spiele regen die Leute immer an.“ Ozchan lehnte sich gegen die Wand neben dem Vordereingang und schob die Hände in die Taschen. „Als ich noch zur Schule ging, habe ich auch eine Menge gespielt. Meistens mit dem Ball und so.“
„Ja?“ Meya kniete sich wieder hin und schnürte ihre Stiefel zu. „Aber das, was wir spielen, werden Sie nicht kennen. Wir haben es selbst erfunden.“
„Hört sich interessant an.“
Sie sah sehr jung und sehr lieblich aus und schien nur aus Beinen, einem Lächeln und goldener Haut zu bestehen. Sie hatte Mongolenaugen, wie ihre Mutter. Ozchan fragte sich, wie er es anstellen sollte, sie noch eine Stunde aufzuhalten. Er wollte gerne mit ihr reden. Es war ihm völlig gleichgültig, ob sie ihn möglicherweise langweilen würde. Mit den Frauen, die er bisher gekannt hatte, war sie nicht im geringsten zu vergleichen. Er kannte nur die überspannten und selbstbewußten Mädchen seines Colleges und jene, die in der Stadt herumstrolchten. In Meyas Gegenwart verspürte er nicht einmal die Anspannung, die ihm bei anderen Frauen zu schaffen machte: Verlangen und Furcht. Es liegt an ihrem provinziellen Charme, redete er sich ein, ohne daran zu glauben. Er wußte nicht
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