Die Flüchtlinge
Quilla, Jason und Mish. Ich könnte mir vorstellen, daß ein paar Eingeborene auch darüber im Bilde sind, aber das kann ich mit Sicherheit nicht sagen. Jedenfalls waren Hart und Gren – so hieß der alte Mann – eines Tages ganz plötzlich verschwunden. Und niemand hat bisher ein Wort darüber verloren.“
„Und diese alte Frau? Laur?“
„Sie hatte ein schwaches Herz. Sie war dermaßen in Hart vernarrt, daß man hätte annehmen können, er sei ihr eigenes Kind. Was immer er auch getan haben mag – es war ein Schock für sie. Und dann schien er sie auch noch für seine Deportation verantwortlich zu machen. Ihr Herz setzte aus.“
„Das hört sich nicht so an, als ob das seine Schuld sei.“
„Nein, direkt nicht. Aber er hat es immer gut verstanden, die Dinge so hinzudrehen, daß ihm niemand eine Schuld nachweisen konnte.“
„Er versucht, Jason zu helfen“, warf Ozchan ein.
Tabor schüttelte den Kopf. „Es war Jasons Entscheidung, und wir haben uns damit abzufinden. Aber ich vertraue Hart nicht. Ich würde ihm nicht einmal trauen, wenn man ihn eingefroren hätte. Was immer Meya auch zu schaffen macht, ich bin sicher, es hat mit Hart zu tun. Ich kann es zwar nicht beweisen, aber ich bin mir sicher.“
„Ihre Begründungen sind fadenscheinig, Tabor.“
„Ich weiß. Aber andere habe ich nicht.“
Ozchan seufzte und starrte erneut in den Feuertopf. Draußen rauschte der Regen.
Der Mann in dem gläsernen Behälter war gutaussehend, und sein Körper wirkte, als hätte ein Künstler versucht, den perfekten Menschen zu erschaffen. Seine Haut war gebräunt und sah gesund aus. Er hatte ein klares, faltenloses Gesicht. Seine Brust hob und senkte sich im Rhythmus des summenden Respirators. Langsam wurde die Flüssigkeit, in der er schwamm, weniger. Quilla faßte nach Tabors Hand.
Im Inneren des Raumes herrschte Schweigen. Mim stand vor dem Behälter. Sie hatte die Hände unter der Schürze verborgen und knackte mit den Knöcheln. Neben ihr stand Ozchan. Sein Gesicht war unergründlich. Dann kam Hoku. Hart, der vom Behälter an die Kontrollen ging, verzog keine Miene. Tabor war auch da. Man hatte nach Meya geschickt, aber die Eingeborenen sagten, daß sie ein Dorf weitergezogen war. Ein Kurier war ihr auf den Fersen, aber bisher war sie noch nicht zurückgekehrt. Jes und Mish würden erst in drei Wochen wieder auf Aerie sein.
Der Glasbehälter war nun leer. Hart und Ozchan entkleideten ihn seiner Seitenteile und legten sie auf den Boden. Hart reinigte Jasons Mund und Nase von einigen Flüssigkeitsresten und trennte ihn vom Respirator. Jason atmete nun allein. Seine Atemzüge vermischten sich mit denen der anderen. Quillas Schultern entspannten sich. Jasons Beine zuckten.
„Es wird eine Weile dauern“, sagte Hart leise. „Er muß sich erst an seinen Körper gewöhnen und die Kontrolle über ihn zurückerlangen. Alles muß sich erst wieder einspielen. Ihr solltet also nicht erwarten, daß er sofort aufspringt und wieder herumläuft.“
„Der Körper scheint völlig in Ordnung zu sein“, sagte Hoku. „Aber was ist mit seinem Geist?“
„Keine Probleme“, sagte Hart. „Laßt ihm nur Zeit.“
Er beugte sich über seinen Vater und berührte dessen Wange mit den Fingerspitzen.
„Jason“, sagte er. „Wach auf.“
Jasons Körper bewegte sich leicht und schläfrig.
Quilla ließ Tabors Hand los und beugte sich ebenfalls über den Schlafenden. „Jason“, sagte sie. „Es ist Zeit zum Aufwachen. Na komm schon, es ist heller Morgen. Jason.“
Jasons Lider flatterten. Dann öffnete er die Augen und sah sie an. Nein, er sah durch sie hindurch. Es ist schon in Ordnung, sagte sie sich. Er wird schon wieder werden. Es ist nur eine Frage der Zeit.
„Jason“, sagte sie erneut und streichelte seine Wange.
Jasons blaue Augen starrten in die Leere.
Hart schob Quilla heftig beiseite und packte nach dem Elektroenzephalographen. Er befestigte die Elektroden an Jasons Schädel. Seine Finger zitterten beinahe. Dann wandte er sich um und schaltete das Gerät ein.
Der Bildschirm flammte auf. Er übertrug nicht das geringste.
Quilla starrte. Ihr Kopf war völlig leer. Langsam preßte Hart die Stirn gegen die Maschine.
„So lange also“, flüsterte er. „Gütige Mutter! So lange!“
Quilla packte ihn und warf ihn zur Seite. Dabei schrie sie, er habe ihren Vater getötet. Hart sah sie an. Er verstand kein Wort, denn das, was sie sagte, ergab für ihn keinen Sinn. Und dann schrie sie weiter und
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