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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Position, tätschelte Meyas Arm und ging wieder hinein. Quilla und Tabor machten ebenfalls Anstalten, ins Haus zurückzukehren.
    „Ich hab’s verpaßt“, sagte Hetch, der gerade herauskam.
    „Es war ja nicht das letzte Mal“, erwiderte Ozchan und nahm Meya mit sich. Hetch kam näher und blieb neben Jes stehen.
    „Frühling?“ fragte er und deutete mit dem Kopf auf den sich aufklarenden Himmel. Im Osten erschienen ein paar Sterne.
    „Fast. Es wird wohl noch ein wenig nieseln, aber nicht viel.“
    „Dann können wir uns auf die Abreise vorbereiten. Mish hat gesagt, sie will so schnell wie möglich weg von hier, wenn der Winter vorbei ist.“
    Jes nickte und ging die Verandastufen hinunter.
    „Ißt du nicht mit?“ fragte Hetch überrascht.
    „Ich habe schon in Haven gegessen“, sagte Jes. Hetch akzeptierte seine Lüge, ohne mit der Wimper zu zucken, und ging hinein.
    Jes umrundete das Haus und warf einen Blick durch das Eßzimmerfenster. Mim huschte an ihm vorbei und hielt eine Tischdecke in der Hand. Die Zwillinge folgten ihr. Sie schleppten Teller und Tassen. Nachdem sie ihre Last abgelegt hatten, halfen sie Mim dabei, das Tischtuch auszubreiten. Mish betrat den Raum, sagte etwas und verschwand anschließend in der Küche. Tabor und Quilla, die aus der Küche kamen, brachten das Essen. Als Meya und Ozchan ins Eßzimmer kamen, unterhielten sie sich mit Hetch. Jes zog sich vom Fenster zurück und schlenderte den Hügel hinunter. Eine glückliche Familie, dachte er. Ozchan hatte allerdings keinen sehr glücklichen Eindruck gemacht.
    Der Stall war still und von Zwielicht erfüllt. Es roch nach Heu und Drays. Jes spazierte an den einzelnen Boxen vorbei und lauschte den Geräuschen des heimkehrenden Viehs. Die einzelnen Etagen des großen Gebäudes enthielten Heustapel oder Kisten voller Waren. Ein großer Teil des zur Verfügung stehenden Platzes wurde von den Zimania saft-Behältern eingenommen. Jes fragte sich, ob die Zwillinge je in diesem Stall gespielt hatten, ob es in ihm überhaupt noch Platz zum Spielen gab. Er zog an einem herunterhängenden Seil. Es hielt. Dann kletterte er daran hinauf, hoch, immer höher. Je höher er kam, desto klarer wurden seine Erinnerungen. Als er schließlich auf dem höchsten Balkon angekommen war, die Beine herunterbaumeln ließ und die Augen schloß, konnte er keinen Unterschied mehr feststellen.
    Jes, Quilla und Hart. Er legte sich rücklings auf den Holzboden und fragte sich, was Hart gedacht haben mochte, als er seinen Vater nach der Beendigung der Behandlung aufgeweckt und festgestellt hatte, daß er nicht mehr lebte. Sein kleiner Bruder. War er zurückgekehrt, weil er etwas wiedergutmachen wollte? Wollte er etwas richten, das er zerbrochen hatte? Wäre es ein anderer gewesen – Ozchan vielleicht –, hätte man ihn angehört und zu verstehen versucht. Ein anderer hätte sich verteidigen können.
    So idiotisch das Argument auch sein mochte: Man hatte Hart die Schuld am Ableben seines Vaters deswegen in die Schuhe schieben können, weil man sich daran erinnerte, was man sieben Jahre zuvor in seinem Keller entdeckt hatte. Aber was hatte er verspürt, als sein Vater dalag, atmete und nicht aufwachte? Als seine Familie ihn auf dem Weg zum Zubringerboot verfolgte? Was mochte er in diesem Augenblick fühlen?
    Jes stellte sich vor, daß er verwirrt war, daß er sie alle möglicherweise haßte. Vielleicht fühlte er sich aber auch verloren. Dennoch kam er mit seinen Gefühlen nicht ins reine. Sie paßten nicht zusammen, ergaben kein klares Bild. Jes war sich jedoch eines sicher: Hart hatte Rücksicht auf Meya genommen. Eines hatten sie also gemeinsam. Mindestens.
    Ich sollte versuchen, ihn zu finden, dachte er und setzte sich hin. Ich muß ihm sagen, daß er nach Hause kommen soll. Ich muß versuchen, seine Spur aufzunehmen. Nach ihm suchen. Er rutschte an einem Seil hinab, wechselte zu einem anderen hinüber und gelangte wieder auf den Stallboden. Die Drays muhten fragend, als er das Gebäude verließ.
    Hoch am Himmel stand die Spirale. Man konnte sie seit dem Herbst zum ersten Mal wieder sehen. Jes ging den Hügel hinauf. Das Fenster des Eßzimmers war nun dunkel. Auch die restlichen Fenster waren nicht mehr erleuchtet. Doch: In dem Raum, den Ozchan und Meya bewohnten, war es noch hell. Jes starrte hinauf, dann wandte er sich ab.
    Auch das Badehaus war dunkel. Jes zog sich aus, legte seine Kleider aufeinander, brachte sie zu einem Spind, nahm eine kurze Dusche und kletterte

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