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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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milde an.
    „Ich bezweifle doch sehr stark, daß Sie bereit wären, Ihre Forderung zu wiederholen, wenn Sie erst einmal mehr von unserer Heiligen Sache erfahren haben. Nehmen Sie wieder Platz.“
    „Ich lasse mich nicht verhören!“
    „Sie haben keine andere Wahl. Hinsetzen!“
    Hart setzte sich.
    Stonesh rieb sich die Schläfen. Dann schenkte er sich und Hart noch einmal ein.
    „Ich bin kein frommer Mensch“, sagte der Erzbischof. „Wenn ich überhaupt etwas bin, dann ein politisches Wesen. Diese Roben und dieser Ring sind ebensosehr politische wie religiöse Symbole. Wenn Gott wirklich existieren sollte, dann bezweifle ich, daß er ein Auge auf die Gläubigen von Gregory 4 hält. Schockiere ich Sie, Menet Kennerin?“
    „Wollen Sie mich schockieren?“
    „Ich will eine Feststellung machen, eine wichtige. Wäre ich der religiöse Führer, der ich eigentlich sein sollte, würde ich Sie ohne Umschweife der Kirche übergeben. Aber ich bin kein solcher Mensch, ich will es auch gar nicht sein.“ Der Erzbischof deutete auf die Tür. „Seide und Juwelen, Wein und Musik. Das ist Zuckerguß, Menet. Irreführender Zuckerguß. Die Theokratie von Gregory 4 ist eine der depressivsten des Systems, und wenn man ein menschliches Grundbedürfnis unterdrückt oder das, was das menschliche Sehnen und Trachten ausmacht, unter Strafe stellt, finden die Betroffenen Möglichkeiten, die Gesetze zu umgehen. Und dann floriert der Schwarzmarkt. Wie viele fromme und gesetzestreue Aristokraten gehören zu Ihren Klienten? Nein, ersparen Sie sich eine Antwort. Ich komme gleich zur Sache, keine Sorge. Es ist absolut zwecklos, die Zeit damit zu vergeuden, jeden einzelnen Pillendreher, jede Prostituierte, jeden Abtreiber und Genmanipulateur zu jagen. Als Politiker kann mein einziges Interesse nur darin bestehen, daß diese Leute wenigstens etwas von ihrem Handwerk verstehen. Ich habe also kein Interesse daran, Sie aus dem Geschäft zu werfen, Menet Kennerin. Ganz im Gegenteil. Sie sind so notwendig und böse wie ich es bin. So lange jedenfalls“ – er hob einen Finger –, „wie es nicht zu Todesfällen kommt und Sie darauf verzichten, irgend jemandem von dieser Unterhaltung zu erzählen. Oder von anderen Unterhaltungen, die wir vielleicht noch führen werden. Wenn Sie sich daran halten, Menet, und solange keiner Ihrer Patienten unter Ihren Händen stirbt, besteht keine Gefahr für Sie. Anderenfalls jedoch werden Sie die volle Macht der Kirche kennenlernen!“
    Der Erzbischof lächelte, stand auf und ordnete seine schwarze Robe. „Ich fürchte, ich müßte schon lange im Bett liegen“, sagte er. „Und zweifellos wollen Sie auf die Party zurück.“
    „Ich verstehe Sie nicht“, sagte Hart und erhob sich mit einer langsamen Bewegung. „Das hat nichts mit Ihren Worten zu tun: Die waren klar genug. Aber ich verstehe nicht, warum Sie mir das sagen.“
    Stonesh lächelte wieder. Er legte die Hand auf die Tür.
    „Der Regent ist mein Neffe, Menet. Gute Nacht.“
    Hart ging auf den Korridor hinaus und verbeugte sich verwirrt. Der Erzbischof von Saltena machte zwischen ihnen die Tür zu.
     
    Das Theater lag im Zwielicht, die Stimmen des Publikums wurden leiser. Hart saß allein in seiner Loge und fühlte sich prächtig. Das Leuchtprogramm warf blaue Schatten auf seine goldene Haut. Heute abend spielte man eine alte Sache: Targon, Kawamitsus vierte Elegie, Jannesdatter. Saltena war keine Stadt, in der man die Innovation willkommen hieß.
    „Schalt das Programm ab“, sagte eine gedämpfte Stimme.
    Hart widerstand dem Verlangen, einen Blick über die Schulter zu werfen. Er überließ das Programm der Dunkelheit. Vielleicht wollte jemand eine Abtreibung oder so was. Man nahm oft auf diese Weise Kontakt mit ihm auf: unter einem Umhang versteckt in der Finsternis, weil man von panischer Angst und einem drängenden Bedürfnis erfüllt war. Und sie brachten natürlich ihre Börsen mit. Es war lange her, seit Hart den letzten Patienten behandelt hatte, also wartete er entspannt und mit geduldiger Neugier.
    Als jemand in dem zweiten Sessel Platz nahm, hörte er das Rascheln von Kleidern. Wer immer auch dort saß, die Bühnenbeleuchtung erreichte ihn nicht. Das Orchester fing jetzt an, die Instrumente zu stimmen. Der Dirigent war noch nicht erschienen.
    „Man hat mich gebeten, über deine Verbindung mit dem Erzbischof mit dir zu sprechen.“
    „Oh, hallo, Tara.“
    „Woher weißt du?“
    „Ich kenne doch deine Stimme, meine Liebe. Sie ist

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