Die Flüchtlinge
unverkennbar, nicht nachzuahmen und unangenehm. Was willst du?“
Sie seufzte. „Ich wünschte, du würdest endlich damit aufhören, mich auf die Palme zu bringen, Hart. Es sei denn, du gehst etwas eleganter dabei zu Werke.“
Hart verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg. Als Tara sich hinter ihm auf ihrem Stuhl bewegte, raschelten ihre Kleider erneut.
„Du hast vor einem Monat auf dem Empfang mit dem Erzbischof gesprochen.“
„Das stimmt. Und seitdem besteht meine Praxis nicht mehr. Glaubst du, daß das eine etwas mit dem anderen zu tun hat, meine Liebe?“
„Ich bitte dich, Hart. Das ist doch unübersehbar.“
„Und jetzt bist du durcheinander. Es hat weder Verhaftungen noch unaufgeklärte Fälle plötzlichen Verschwindens, noch Unfälle gegeben. Was, glaubst du, steckt dahinter?“
„Das frage ich mich in der Tat.“
„Bestehen Verbindungen zwischen dem Erzbischof und der Heiligen Inquisition?“
„Keine direkten. Aber immerhin ist er der Erzbischof.“
„Es hat keine Zwischenfalle gegeben?“
„Nein.“
„Außer, daß deine Freundin Lady Tomin vor einer Woche an einer verpfuschten Abtreibung starb.“
Tara schwieg.
„Hau ab, Tara. Und sag deinen Freundinnen, daß ich immer noch im Geschäft bin. Und immer noch sicher.“
„Sollen wir uns allein auf dein Wort verlassen, Hart? So naiv sind wir nun auch wieder nicht. Da mußt du uns schon bessere Beweise liefern.“
Hart machte eine Pause. Der Orchesterdirigent tauchte nun auf. Harts Schweigen wurde von einem donnernden Applaus begleitet.
„Ich kann dir einen Handel vorschlagen“, sagte er schließlich. „Eine Information gegen die andere!“
Tara machte ein rasches, mißtrauisches Geräusch.
„Erzähl mir etwas über den Regenten.“
„Den Regenten? Was gibt es über den zu sagen?“
„Er erscheint nicht in der Öffentlichkeit. Ich bin eben neugierig.“
„Der Regent ist der Stellvertreter Gottes auf Gregory“, sagte Tara in einem Tonfall, als zitiere sie etwas aus ihrer Erinnerung. „Der Regent vertritt Gott, bis dieser selber zu uns kommt. Man hat den Regenten zu verehren und ihm zu gehorchen, denn indem wir ihn verehren und gehorchen, verehren und gehorchen wir Gott.“
„Und?“ fragte Hart.
„Man sagt, daß er verrückt ist“, flüsterte Tara. „Daß man ihn eingeschlossen hat. Daß er aussieht wie ein Shoat. Daß er schwachsinnig ist. Gerüchte.“
„Vielleicht gibt es ihn gar nicht.“
„Unmöglich“, erwiderte Tara. „Das hätten wir herausbekommen.“
Hart nickte. Er erinnerte sich an den gut funktionierenden Klatschnachrichtendienst, den der Adel betrieb, und wie stark er davon profitiert hatte.
„Nun?“ fragte Tara.
„Was meinst du damit?“
Sie seufzte erneut. „Was hat der Erzbischof gesagt?“
„Seine Eminenz und ich sprachen über die Werte, die einem eine höhere Bildung vermitteln“, sagte Hart und lächelte in die Dunkelheit hinein.
„Das ist eine Lüge.“
„Ich fürchte, es ist keine.“
„Ich glaube dir nicht.“
„Das wirst du aber müssen, mein Schatz. Und empfehle mich deinem Lordgatten, wenn du so freundlich sein willst.“
Als sie aufstand, ertönte wieder Kleidergeraschel. Hart sah sich um und sah, daß sie die Hände vor dem dunklen Stoff ihres Umhangs zu Fäusten geballt hatte.
Vor und hinter ihr teilten sich die Vorhänge. Hart schnippte mit den Fingern und lehnte sich zurück, um das Konzert zu genießen.
Da sie keine andere Wahl hatten, kehrten seine Patienten nach einer Weile in die verschalten Räume seiner Praxis und die stumme Schnelligkeit seiner Laboratorien zurück. Seidenroben und Seidenkörper. Falls es Arme gab, die ebenfalls seiner Unterstützung bedurft hätten, so wußte er nichts davon. Es kümmerte ihn auch nicht. Hart war spezialisiert, Schmerzen mit Schmerzen zu lösen, und seine Klienten bezahlten für das, was er ihnen in Aussicht stellte, mit klingender Münze.
Hin und wieder sah er den Erzbischof; entweder bei Empfangen oder anderen Veranstaltungen am Hof des Gottesregenten. In einem solchen Fall lächelte der alte Mann ihn an, hielt inne, wechselte ein paar Worte mit ihm und ging weiter. Hart fing allmählich an, sich über die Bedeutung ihrer Konversation keine Gedanken mehr zu machen. Bald sah er den Erzbischof mit den gleichen Augen wie der Rest des Hofes; ehrfurchtsvoll.
Die Vorladung kam an einem heißen Nachmittag, Monate nach ihrem ersten Gespräch, als Hart in seinem abgedunkelten Schlafraum lag und träge den
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