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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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nachgiebigen Körper des Sohnes eines Klienten streichelte. Der Junge – er war an sich schon halb erwachsen – drückte sich sehnsüchtig gegen ihn, preßte seine Lippen an Harts Schulter und murmelte etwas. Harts Hände glitten über sein Rückgrat. Der Junge fröstelte.
    Das Klopfen an der Tür erschreckte sie beide. Während der Junge unter den Decken verschwand, packte Hart nach seiner Robe.
    „Ich will nicht gestört werden“, rief er. „Hau ab.“
    „Bitte, Herr – da ist jemand, der Sie sprechen will.“
    „Ich habe dir einen Befehl gegeben, Melthone. Ich habe zu tun. Verschwinde.“
    „Bitte, Herr … Es ist der Erzbischof.“
    Hart hielt inne. Der Junge lugte unter der Decke hervor. Er war vor Angst wie gelähmt.
    „Wo ist er?“ fragte Hart.
    „Draußen, Herr. In seinem Wagen.“
    „Sag ihm, daß ich komme.“
    Die Schritte des Dieners bewegten sich die Treppe hinunter. Hart warf die Robe in eine Ecke und fing an, sich schnell anzukleiden.
    „Mach dir keine Sorgen“, sagte er zu dem Jungen. „Ich gehe hinunter. Von diesem Fenster aus kannst du die Straße sehen. Zieh dich an, und wenn der Wagen losfahrt, geh hinunter. Melthone zeigt dir dann die Hintertür.“
    „Aber die Inquisitoren …“
    „Sei still.“ Hart legte eine Hand unter das Kinn des Jungen und küßte seinen Mund. „Dir wird nichts geschehen, ich verspreche es. Aber warte so lange, bis der Wagen wieder weg ist, verstanden?“
    Er ging hinaus und eilte die Treppe hinunter; dabei war er noch damit beschäftigt, sich das Hemd zuzuknöpfen. Der Wagen des Erzbischofs war – wie sein Besitzer – massiv und rund. Vor dem schwarzen Hintergrund der Sitzbezüge wirkte Stoneshs Gesicht direkt bleich.
    „Vergeben Sie mir, daß ich Sie so lange warten ließ, Eminenz“, sagte Hart. „Aber ich habe gerade ein Nickerchen gemacht.“
    „Gewiß.“
    Der Erzbischof öffnete den Wagenschlag und gab Hart mit einer Geste zu verstehen, er solle eintreten.
    „Dann brauche ich wenigstens keine Schuldgefühle zu empfinden, Sie von etwas Wichtigerem abgehalten zu haben“, sagte er gelassen. „Fahren Sie mit mir, Menet Kennerin. Es gibt etwas, das ich Ihnen zeigen möchte.“
    Der Wagen ruckelte an.
    „Ich bin sicher, daß alles, was Eure Eminenz mir zeigen will, von Interesse ist.“
    Der Erzbischof lächelte. „Das hoffe ich auch, Menet Kennerin. Ich nehme Sie mit, damit Sie meinen Neffen kennenlernen.“
     
    „Offengestanden, Eure Eminenz, ich glaube nicht, daß ich etwas für ihn tun kann.“
    „Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“
    Hart sah zuerst den Erzbischof an. Dann fiel sein Blick auf den breiten, grasbewachsenen Abhang. Der Regent saß im Gras, genoß den Schatten und starrte fasziniert einen kleinen, farbenprächtigen Vogel an, der auf seiner Fingerspitze Platz genommen hatte. Der Vogel breitete die Schwingen aus und hüpfte auf seiner Hand herum. Der Regent gurgelte fröhlich. Sein Gesicht war schmutzverkrustet, sein schwarzes Haar verfilzt. Auf seiner kostbaren Kleidung wimmelte es von Flecken, die nach Speiseresten aussahen.
    „Ist er immer so gewesen?“
    „Seit dem Säuglingsalter.“
    „Und trotzdem ist er der Regent?“
    Der Erzbischof breitete die Hände aus. „Es handelt sich um eine erbliche Position, Menet Kennerin. Mein Neffe war der einzige Sohn des alten Regenten.“
    Eine warme Brise trieb über den Garten dahin und zerrte am ölverkrusteten Bart des Regenten. Der Vogel flatterte nervös.
    „Haben irgendwelche Ärzte ihn je gesehen?“
    „Nur dann, wenn es um sein Leben ging.“
    „Aber man hätte sicherlich etwas für ihn tun können. In seiner Kindheit. Vor seiner Geburt. Es hätte nicht soweit kommen müssen.“
    „Es ist dem Menschen auferlegt, das Schicksal auf sich zu nehmen, das Gott für einen bereithält. Daran soll man nicht rütteln. Das ist Gottes und Gregorys Gesetz.“
    „Und doch hat Gott uns die Fähigkeit gegeben, uns zu verbessern.“
    „Um uns zu prüfen, Menet Kennerin. Manches soll man tun, anderes aber lassen. Manchmal erreichen wir unsere Ziele am besten durch Nichtstun.“
    Der Erzbischof stand auf. Hart erhob sich ebenfalls. Zusammen schritten sie den Abhang hinunter und hielten sich im Schatten der uralten Bäume.
    „Mit anderen Worten“, sagte Hart, „man würde mir verwehren, dem Regenten zu helfen, wenn ich dazu in der Lage wäre.“
    „So ist es.“
    Der Regent streichelte sanft den Rücken des Vogels. Ein kräftiger Lakai stand unter einem großen Baum und

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