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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Erzähl ihr irgend etwas. Wenn du sie nicht loswerden kannst, soll sie warten, bis sie schwarz wird.“ Hart schob den Diener auf die geschlossene Salontür zu. Nachdem Melthone zögernd die Tür hinter sich geschlossen hatte, eilte Hart über den Hof hinweg zur Küche und begab sich durch die Verbindungstür in den Weinkeller. Er schloß die Tür auf, verschloß sie wieder hinter sich und ging eine Treppe hinunter. Die Mauer, an der er sich mit den Händen entlangtastete, fühlte sich kühl und feucht an. Als er die Stufen hinter sich gebracht hatte, schloß er eine zweite Tür auf und betrat sein Labor.
    Ein gleichmäßiges Summen ertönte; es war ein beinahe unhörbares Geräusch, das den Rhythmus aller Arbeiten, die Hart hier unten tätigte, absorbierte.
    Zellen, die Sensoren und Scanner durchliefen, wurden ausrangiert oder aufbewahrt und auf feinsten Waagen abgewogen. Totes Gewebe und defektbehaftete Zellen wurden ausrangiert, Zellen- und Plasmamembrane genauen Untersuchungen unterzogen; Ekto- und Endoplasmen und Chondriosome miteinander verglichen, Vakuolen und Plastide beobachtet. Kernmembrane wurden bewertet, nichtpassende Zentriolen und Zentrosome fielen aus ihren Reihen heraus; Kernflüssigkeiten und chromatine Retikeln erhielten einen prüfenden Blick, Nukleonen wurden aufgefächert wie Orangen und legten ihre Geheimnisse offen. Hart massierte seine Schultern und beugte sich erneut vor. Unter den tastenden Versuchen seiner Ausrüstung tanzten Helices und paradierten Desoxyribonukleinsäuren und Dioxyribonukleinsäuren vorbei. Hart las sich durch den Stoff, aus dem das Leben gemacht ist, akzeptierte, lehnte ab, wählte aus. Er war gefangen in der Welt des Mikrokosmos. Physische Deformationen wurden eliminiert, dann ging es an die Ursachen ihrer Existenz. Unebenheiten wurden begradigt, Unterbrechungen verbunden, bis in der Gesamtkette nur noch eins zurückblieb: die linkische Verrenkung eines verdrehten Geistes. Hart machte eine Pause, ließ die Fingerspitzen leicht auf den Kontrollen seiner Maschinerie ausruhen, stand auf und reckte sich ausgiebig. Ihm taten die Beine weh. Ein bestimmter Schubser, ein leichter Druck würde die Bruchstelle klarlegen, dann konnte er sie reparieren und in die Reihen der anderen zurückschieben. Hart sah sich das Echo auf dem Radarschirm genau an und schüttelte die Hände, um seine verkrampften Finger zu lösen. Es war nur eine Sekunde Arbeit, die Sache in eine neue Form zu bringen. Er zögerte immer noch, dann brachte er die Arbeitsplatte in die richtige Position. Er sterilisierte einen Wattebausch, löste vorsichtig ein paar Millionen Zellen aus seiner eigenen Kehle, schluckte ein Aufputschmittel und arbeitete weiter. Als er die Zellen einem Auswahlverfahren unterwarf, summte er vor sich hin. Als er sie prüfte und bearbeitete, lächelte er, und als er dazu überging, die verdrehten Gene des zukünftigen Regentensohnes auszumerzen und für sie einen mikroskopisch kleinen Ersatz zu schaffen, sang er. Der nächste Regent von Gregory würde zwar die blasse Haut, die goldenen Augen und das schmale Kinn seines Vaters haben – aber das Bewußtsein Hart Kennerins.
    Einige einfache Prozeduren reichten aus, um die Zelle auf den Weg ihrer Geburt zu schicken. Hart beobachtete ihre Entwicklung, bis sie zu seiner Zufriedenheit verlief, dann tat er sie in einen Behälter und stand auf. Das Laborlicht wurde matter und verschwand schließlich, bis nur noch das rote Leuchten des Behälters übrigblieb. Hart warf ihm eine Kußhand zu und ging die Treppe hinauf.
    Bleiches Morgenlicht ergoß sich in den Innenhof. Der Springbrunnen murmelte gegen die Geräusche der allmählich erwachenden Stadt an. Melthone lag neben der Salontür und schlief. Seine Beine streckten sich über den Korridorboden. Hart kletterte über ihn hinweg und öffnete die Tür. Tara war gegangen, aber ihr Parfüm war zurückgeblieben. Unter einem geleerten Kristallbecher lag eine Nachricht für ihn. Als Hart das zusammengefaltete Blatt an sich nahm, gähnte er.
    „Dein Fleiß“, hatte sie geschrieben, „wäre ja lobenswert oder vielleicht sogar amüsant zu nennen, wenn er nicht so ärgerlich wäre. Ich nehme an, daß ich in neun Monaten das Resultat zu Gesicht bekommen werde. Ich bin sicher, daß du eine ausgezeichnete Arbeit geleistet hast (für wen auch immer), wenn man bedenkt, wieviel Zeit du da hineingesteckt hast. Ich nehme ebenfalls an, daß du einen gemütlichen Abend mit dem Erzbischof und seiner Familie

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