Die Flüchtlinge
wäschst, verstanden?“ rief sie hinter ihm her.
Hart benetzte sein Gesicht und seine Hände mit Wasser, trocknete sich an einem Handtuch ab und verließ, nachdem er dafür gesorgt hatte, daß zumindest seine Haarspitzen naß geworden waren, das Badezimmer. Laur ließ es sich niemals nehmen, ihn dahingehend zu überprüfen, daß er sich auch wirklich gewaschen hatte, und auf die nassen Haarspitzen fiel sie immer herein. Er ging in sein Zimmer, überzeugte sich davon, daß während seiner Abwesenheit niemand hiergewesen war, zog ein sauberes Hemd an und warf das alte unter sein Bett. Aus dem Nachbarraum konnte er Jes’ Stimme hören. Er sang irgendein blödes Lied, das sie gestern in der Schule gelernt hatten. Hart lauschte und fühlte sich seinem Bruder haushoch überlegen. Jes hatte sich einlullen lassen und angepaßt. Indem er die Schule, Tabor und die Invasion der Fremden wie ein wundervolles Abenteuer akzeptierte, hatte er sich die Sympathien seines Bruders vollends verscherzt. Hart warf die Tür seines Zimmers hinter sich ins Schloß und ging ins Wohnzimmer.
„Laur sagt, daß das Essen fertig ist“, sagte er mit lauter Stimme und trat ein.
Die Erwachsenen hielten in ihrem Gespräch inne. Tabor lächelte ihn an, aber Hart sah in eine andere Richtung und sagte zu seinem Vater: „Weißt du, daß jemand bei uns im Haus ist? Es ist die Frau, die Mim heißt, und sie wird jetzt bei uns wohnen.“
„Ja“, sagte Jason unbekümmert. „Es wurde auch allmählich Zeit, daß Laur – von den Kassies abgesehen – mal ein bißchen Hilfe bekommt. Du wirst dich schon noch an sie gewöhnen, Hart.“ Er zog den Jungen auf seinen Schoß und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Hart entzog sich geschickt seinem Griff und wartete so lange mit steifen Gliedern in der Nähe des Kamins, bis die Erwachsenen das Zimmer verließen. Dann begab er sich zur untersten Treppenstufe und brüllte so lange, bis Quilla und Jes herunterkamen. Als sie an der Tür zum Eßzimmer waren, hielt Jes ihn zurück.
„Du wirst großen Ärger kriegen“, flüsterte er Hart zu. „Du hast heute die Schule geschwänzt. Simit hat gefragt, wo du steckst.“
„Darüber hältst du besser den Mund“, erwiderte Hart aufgebracht. „Wenn du es weitererzählst, wird es dir noch leid tun.“
Jes zuckte unschlüssig die Achseln. Dann ging er ins Eßzimmer. Bevor Hart ihm folgte, holte er tief Luft.
Während des Essens schüttete Hart ein Glas Saft über Mims Gewand. Mish sagte: „Du mußt lernen, besser aufzupassen, Schatz.“ Mim fing den Blick, den Hart ihr angedeihen ließ, jedoch auf. Als sie den Raum verließ, um die Kleidung zu wechseln, runzelte sie die Stirn. Die Erwachsenen fuhren fort, Mishs Gewächshaus und die Fortschritte ihrer albernen Pflanzen zu diskutieren. Jes suchte Harts Blick und zwinkerte ihm zu. Den Rest der Mahlzeit verbrachte Hart damit, stur auf seinen Teller zu starren.
Nach dem Essen nahm Hart vor dem Kamin Platz und legte geschäftig Holzscheite in das Feuer. Die Erwachsenen tranken Wein und unterhielten sich. Jes war mit Tabors Flöte in seinem Zimmer verschwunden. Er übte die Tonleiter, und das Gepfeife war überall zu hören.
„Hart?“ sagte Jason plötzlich. „Hast du keine Hausaufgaben zu erledigen?“
„Nein, brauch ich nicht“, erwiderte Hart gewandt. „Ich weiß das schon alles.“
Er bemerkte, daß seine Eltern einen Blick wechselten. Schließlich zuckte Mish die Achseln. Hart wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Feuer zu. Er fragte sich, ob er Quilla wohl dazu überreden konnte, mit ihm in den Stall spielen zu gehen, aber dann fielen ihm die Flüchtlinge wieder ein, die sich dort aufhielten. Außerdem war seine Schwester viel zu sehr damit beschäftigt, Tabor schöne Augen zu machen und über die eigenen Beine zu stolpern.
Kurz vor Sebet’al, als Mish anfing, ihn auf das Zubettgehen vorzubereiten, klopfte jemand an der Tür. Jason stand auf. Hart hob den Kopf, als sein Vater und der Lehrer Simit eintraten. Rasch warf er die übriggebliebenen Scheite in die Flammen und machte Anstalten zu gehen.
„Nein, Hart, warte“, sagte Jason. „Mish, Simit möchte sich mit uns unterhalten.“
„Vielleicht sollte ich jetzt gehen“, sagte Tabor, aber Jason wies ihn mit einer Geste an, wieder Platz zu nehmen.
„Laur soll kommen“, sagte Hart mürrisch.
Seine Mutter warf ihm einen Blick zu, sah den Lehrer an und nickte. „Heraus damit, Simit. Worum geht es?“
„Ich will, daß Laur kommt!“ schrie Hart.
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