Die Flüchtlinge
wechselten. Die Kleinen wurden von der Mutter zum Vater zu einer Tante weitergegeben, bis sie bei irgendwelchen Fremden landeten. Jeder nahm sich ihrer an, säugte sie, nahm sie mit auf die Wanderschaft, und das hielt so lange an, bis sie den Beutel für immer verließen. Es war ziemlich wahrscheinlich, daß Palens Kind den Sommer irgendwo in den Bergen verbrachte oder bei einem fernen Stamm an der Meeresküste lebte. Auf jeden Fall schien Palen Quillas Kinder mit der gleichen Nonchalance adoptiert zu haben, wie ihr Volk mit dem eigenen Nachwuchs verfuhr. Die Zwillinge verbrachten ganze Tage und Nächte im Dorf der Eingeborenen – sehr zum Leidwesen Laurs.
Wenn Palen die Adoptivmutter seiner Enkel war, war sie dann auch seine Adoptivtochter? Sie war mindestens ebenso verrückt wie seine eigenen Kinder und hätte gut zu seiner Familie gepaßt.
Hetch stand auf, leerte seinen Krug und stellte ihn auf den Tisch zurück.
„Ich habe Hoku versprochen, ihr noch etwas zu bringen“, sagte er verdrossen. „Ich glaube, sie will mich schon wieder auf die Waage stellen.“
Jason lachte und leerte ebenfalls seinen Krug. Palen versprach ihm, so lange auf die Kinder zu achten, bis das Fest begann, und so ging er wieder den Hügel hinauf. Mish müßte jetzt fertig sein, dachte er. Erwärmt vom Bad, parfümiert, klein und süß. Seine Lenden zitterten, und er lächelte und ging schneller. Bis zum Festbeginn war noch eine Menge Zeit.
Dr. Hoku saß in der Nähe der Punschschale auf einem Ehrenplatz und beobachtete ihre Patienten mit einem schnellen, abschätzenden Blick. Da sie jedermann in Haven zu ihren Patienten zählte – und auch die Eingeborenen aus dem Nachbardorf nicht ausnahm –, musterte sie jeden mit der gleichen Intensität. Der alte Ved Hirem humpelte an ihr vorbei und nickte ihr kurz zu. Er glaubte immer noch, daß er an Arthritis litt; aber wenn das stimmte, besaß sie Flügel. Sie behandelte ihn mit schmerzstillenden Mitteln und harten Worten, was er mit gequältem Humor über sich ergehen ließ. Hoku nickte zurück und griff nach einem vorbeieilenden Kind.
„Du bist doch Kridee, nicht wahr?“ Das Kind nickte. „Na, wunderbar! Bringst du mir ein Glas Punsch?“
Das Kind nahm ihr Glas und ging damit auf den Tisch zu. Es war in einer kalten Winternacht zur Welt gekommen, wie Hoku sich erinnerte. Es hatte geregnet, und der Vater des Kindes hatte vor sich hingestöhnt und an den Fingernägeln gekaut. Ein gesundes Baby. Kridee brachte ihr den Punsch. Sie streichelte ihm übers Haar und ließ ihn wieder gehen.
Hart und Gren traten ein. Hoku beobachtete auch sie, aber ihr Gesicht drückte keinerlei Emotionen aus. Sie traute den beiden nicht.
Gren war ein unwichtiger Charakter, jedenfalls seit den letzten fünf Jahren, und sie vermutete, daß Hart etwas damit zu tun hatte, daß der Alte unablässig trank und ein kriecherisches Benehmen an den Tag legte. Sie hätte eine Menge dafür gegeben, um zu wissen, was die beiden im Schilde führten und in Harts Keller trieben, aber sie wußte, daß sie es so bald nicht erfahren würde. Grens Geist war dermaßen vom Alkohol verwirrt und verängstigt, daß sie nicht zu ihm durchdringen konnte, und was Hart anbetraf, so strahlte er einen dermaßen starken Sarkasmus aus, daß sie nicht an ihn herankam. Früher hatte sein Haß sie von ihm ferngehalten. Die beiden begaben sich an einen Tisch, füllten ihre Teller mit Essen und verschwanden in der Menge. Wenn dieser Festtag so verlief wie die bisherigen, würden sie zusammen ihre Mahlzeit einnehmen, sich hinsetzen, ein paar unfreundliche Bemerkungen über die Anwesenden fallen lassen und wieder verschwinden, bevor die Tanzerei losging. Hoku stieß ein Grunzen aus und verlagerte ihre Aufmerksamkeit anderswohin.
Hetch nahm wieder zu; er würde noch dicker sein, wenn die Nacht zu Ende war. Jetzt hatte er schon zwei Teller geleert und das dritte oder vierte Bier gekippt dabei hatte das Fest kaum angefangen. Sie zog es in Erwägung, ihn zu ermahnen, tat es aber dann doch nicht. Sollte er sich doch heute abend ruhig mal amüsieren, der ewig eingesperrte alte Hundesohn. Sie mochte ihn gut leiden.
Jes glitt an ihr vorbei. Er war hübsch angezogen. Hoku nickte. Erwartungen erfüllt. Ihm würde, daran liegen, Taine zu beeindrucken. Wo war sie überhaupt? Ah, dort, an den Tischen. Auch sie hatte Jes eintreten sehen. Zu Hokus Überraschung verließ sie den Kreis ihrer Verehrer, ging durch den Stall auf Jes zu, berührte ihn am Arm und
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