Die Flüchtlinge
lächelte. Hoku runzelte nachdenklich die Stirn. Taine hatte sich in letzter Zeit verändert. Die junge Frau war unter ihrem dicken Fell aus frostiger Zurückhaltung zunehmend unglücklicher geworden. Und dann – erst gestern – hatte sie sich wie ausgewechselt gezeigt, aber Hoku vermutete, daß dies nur am Rande mit Jes zu tun hatte. Sie wünschte sich, mit Taine sprechen zu können, aber sie ging ihr nach Möglichkeit aus dem Weg und blockte selbst den kleinsten Versuch einer persönlichen Annäherung ab. Hoku fragte sich, ob Taine sich an die zwei Wochen im Lager erinnerte und daß sie es gewesen war, die dem Mädchen geraten hatte, sich Gesicht und Haar mit Dreck zu beschmieren. Natürlich würde sie sich noch an diesen Tag erinnern, aber möglicherweise hatte sie inzwischen vergessen, wer ihr diesen Rat gegeben hatte. Die Ärztin seufzte und hoffte, daß Taine nicht darauf abzielte, noch unglücklicher zu werden. In der Ferne hielt sie Jes’ Arm und lachte.
Quilla und Tabor; beide sahen gereizt aus. Typisch.
Gütige Mutter, was ist denn mit Laur los? Die alte Frau humpelte durch den Stall. Sie ging vornübergebeugt, und ihre sonst aufrechten Schultern hingen herab. Sie sah aus, als ob sie sich über Nacht ihres tatsächlichen Alters bewußt geworden sei, und schien ein schweres Gewicht mit sich herumzuschleppen. Laur mußte beinahe achtundsiebzig Jahre alt sein, aber diese plötzliche Veränderung war eine Überraschung. Hoku beobachtete erstaunt, daß Laur langsam auf einen Tisch zuging. Dann erblickte sie Hart und blieb stehen. Sie hat Angst, dachte Hoku. Vor Hart? Vor ihrem Liebling? Der Stall war zu voll, um es ihr zu gestatten, Laurs Gefühle aufzunehmen. Hart näherte sich der alten Frau augenblicklich. Er führte sie zu einem Sitzplatz im Heu und beauftragte Gren, ihr einen Teller zu bringen. Mit vornübergebeugtem Kopf blieb er lächelnd vor ihr stehen und sprach auf sie ein. Schließlich brachte Laur ein unsicheres Lächeln zustande. Sie nahm den Teller, den Gren ihr brachte, und beugte sich darüber. Ich muß mit ihr reden, dachte Hoku entschlossen. So schnell wie möglich. Irgend etwas stimmt hier nicht.
Ho. Pita hat es also doch geschafft. Das Kind kann jeden Augenblick kommen. Wo steckt Jed? Was nützt einem eine männliche Hebamme, wenn sie nicht da ist, wenn man sie braucht?
Sie hielt ein anderes Kind an. „Du bist Haley, Thams Kind, stimmt’s? Such Jed und sage ihm, daß ich ihn sprechen will. Und tu es jetzt. Es eilt.“
Haley verschwand in der Menge, und Hoku fuhr mit ihrer Beobachtung fort. Die Eingeborenen kamen alle zusammen und wurden von Palen tor-Altemet angeführt, die mit Quilla befreundet war und deren Kinder in ihrem Beutel trug. Palen hielt an, zog die Zwillinge heraus und schickte sie zu ihren Eltern. Die Eingeborenen verbeugten sich und begrüßten die anderen. Hoku freute sich, daß die Aeriten sie nicht nur mit Toleranz, sondern auch einer gewissen Wärme willkommen hießen. Die Kasiren legten ihre gebratenen Fische auf den Tischen aus, und bald darauf begann der zweite Ansturm auf das Essen. Hoku beschloß, noch ein wenig zu warten. Es war genug Fisch für alle da.
Meya, die bei ihrer Schwester stand, sah Palen und stieß einen Freudenruf aus, als sie sich der Eingeborenen näherte. Palen hob sie hoch, tätschelte ihr den Rücken, setzte sie wieder ab und umarmte Quilla. Quilla schien sich daraufhin etwas zu entspannen. Sie blieb bei Palen stehen und unterhielt sich mit ihr, während Meya um die beiden herumtanzte und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versuchte. Schließlich gab Quilla ihrer Schwester und den beiden Kleinen ein Stück Brot und schickte sie weg. Tabor sah Palen und Quilla schweigend zu. Meya war überall und nirgends. Sowohl die Aeriten als auch die Eingeborenen lächelten ihr freundlich zu. Hoku betrachtete das Mädchen mit einem gewissen Stolz. Solch ein hübsches und kluges Kind, dachte sie. Und dann noch das Produkt eines Winters. Ich freue mich, daß sie hier ist.
„Doktor?“
Hoku sah auf und schaute ihren Assistenten an. „Gut. Wo steckt Pita? Da, siehst du sie? Behalt sie bloß im Auge, denn in spätestens drei Stunden wird es soweit sein. Ich möchte, daß du in der Nähe bleibst, denn ich glaube nicht, daß es leicht mit ihr werden wird. Am besten suchst du dir jemanden, der dir helfen kann, sie ins Krankenhaus zu bringen. Es hat, glaube ich, keinen Zweck, sie dazu überreden zu wollen, früher zu gehen.“
„Ich glaube auch nicht,
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