Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
Vom Netzwerk:
breitete sich auf der Terrasse aus wie ein riesiger Blutfleck. Tyburn drehte sich zu mir um. Auf ihrer Stirn war ein Schnitt und ihr Sonnenkleid hatte einen Riss direkt über der Hüfte.
    Sie war ganz still geworden, und das war kein gutes Zeichen. Diese Art von Stille hatte ich schon erlebt, bei meiner Mutter und auf dem Gesicht einer Frau, deren Bruder gerade von einem Betrunkenen überfahren worden war. Aus den Medien gewinnen die Leute den Eindruck, dass schwarze Frauen in großen Krisen immer gleich zu schreien und zu heulen anfangen, gefolgt von Kopfschütteln und tröstenden Umarmungen durch andere Frauen, oder aber tapfer, stoisch und würdevoll bleiben, mögen die Schicksalsschläge auch noch so auf sie herniederprasseln. Sieht man aber eine schwarze Frau ganz still werden, so wie Tyburn in diesem Augenblick, mit glänzenden Augen, zusammengepressten Lippen und einer Miene so leblos wie eine Totenmaske, dann hat man sich eine Feindin fürs Leben gemacht. Gehen Sie nicht über Los und ziehen Sie keine 200   Pfund ein   – sondern versuchen Sie so schnell wie möglich zu verschwinden.
    Bleiben Sie auf keinen Fall stehen und versuchen darüber zu reden, glauben Sie mir, es wird nicht gut enden. Ich befolgte meinen eigenen Rat und setzte mich rückwärts in Bewegung. Tyburns schwarze Augen folgten mir, und als ich die Hausecke erreicht hatte, drehte ich mich um und lief davon, so schnell ich konnte. Ich rannte nicht direkt den Hügel bis Swiss Cottage hinunter, aber ich ging doch mit sehr schnellem Schritt. Unten am Hügel stand eine Telefonzelle, die ich dringend benötigte, da sich der Akku noch in meinem Handy befunden hatte, als ich mich daranmachte, eine antike Statue zu pulverisieren. Ich rief die Vermittlung an, nannte meine Kennnummer und wurde zu Lesleys Handy durchgestellt. Sie wollte wissen, wo ich gewesen sei, denn offenbar war ohne mich alles schiefgelaufen.
    »Wir haben den Blinden gerettet«, sagte sie. »Und das war nicht dir zu verdanken.« Sie weigerte sich, mir weitere Einzelheiten zu erzählen, denn: »Dein Boss will dich hier sehen. Und zwar schon gestern.« Ich fragte, wo »hier« sei, und sie sagte, im Leichenschauhaus Westminster. Das freute mich gar nicht, denn auch wenn wir den Blinden gerettet hatten, hatte offenbar ein anderes armes Schwein sein Gesicht verlieren müssen. Ich sagte, ich würde so schnell wie möglich kommen.
    Ich ließ mich von einem Streifenwagen bis zur U-Bahn -Station Swiss Cottage mitnehmen, wo ich in einen Zug der Jubilee Line sprang, der mich in die Stadt brachte. Ich bezweifelte, dass Lady Ty über das Personal oder den Ehrgeiz verfügte, die U-Bahn -Stationen überwachen zu lassen, und einer der Vorteile eines kaputten Handy-Akkus bestand darin, dass man nicht lokalisiertwerden konnte. In der U-Bahn würden auch Trackingprogramme, mit denen sie mich womöglich heimlich beschatten ließ, nicht funktionieren. Nein, ich habe keinen Verfolgungswahn   – solches Zeug kann man im Internet kaufen.
    Die Hauptverkehrszeit hatte gerade begonnen, als ich in den Zug stieg, und die Leute standen bereits ziemlich dicht im Waggon. Es herrschte zwar noch nicht ein Gedränge wie in einer Sardinenbüchse, aber man musste doch schon gewisse Einschränkungen der persönlichen Sphäre in Kauf nehmen. Ein paar Passagiere starrten mich an, als ich mich am Ende des Waggons mit dem Rücken zur Verbindungstür platzierte. Vermutlich sandte ich gemischte Signale aus   – einerseits trug ich einen Anzug und einen freundlichen Gesichtsausdruck, andererseits war ich ganz offensichtlich vor Kurzem in eine Prügelei verwickelt gewesen und zudem nicht weiß. Es ist ein altes Märchen, dass die Londoner einander in der U-Bahn ignorieren; das Gegenteil ist der Fall: Wir achten sogar außerordentlich aufeinander und spielen ständig »Was-wäre-wenn«-Szenarien und Abwehrstrategien durch. Was wäre, wenn mich dieser charmante, gut aussehende, aber eben doch einer ethnischen Minderheit angehörende junge Mann plötzlich um Geld anbetteln würde, gebe ich ihm etwas oder weigere ich mich, und wenn er einen Witz reißt, reagiere ich darauf, und wenn ja, mit lautem Gelächter oder mit einem schüchternen Grinsen? Wenn ihn jemand angreift und womöglich verletzt, soll ich ihm helfen? Und wenn ich ihm helfe, werde ich dann in eine potentiell gefährliche Situation verwickelt, in ein Abenteuer oder gar in eine romantische Beziehung mit einemMenschen mit Migrationshintergrund? Werde ich das

Weitere Kostenlose Bücher