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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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Bedenkt man,dass der Titel herauskam, als ich noch in den Windeln steckte, war es keine schlechte Leistung, dass ich den Text vollständig beherrschte. Ich hatte gerade die Zeile »I’d like to think that I was just myself again« aus der dritten Strophe geschmettert, als ich mein Ziel erreichte. Das Haus war ein hohes neugotisches Gebäude mit kleinen Ziertürmchen an allen vier Ecken und weiß gestrichenen Schiebefenstern. Mit Marmorplatten verkleidete Stufen führten zu einer beeindruckenden Haustür hinauf, die ich aber ignorierte; stattdessen ging ich zum Seiteneingang   – ich wusste genau, wohin ich wollte. Ich überprüfte kurz den Sitz meines Jacketts, rieb die Schuhspitzen an den Hosenbeinen blank, dann stieß ich das Gartentor auf und betrat das Grundstück.
    An der seitlichen Hausmauer wachsendes Geißblatt bildete einen süß duftenden Tunnel, der in einen breiten, sonnigen Garten mündete. Ein sauber getrimmter Rasen wurde von ordentlichen Beeten gesäumt, die mit Petunien, Studentenblumen und Tulpen bepflanzt waren. Zwei riesige Terrakottatöpfe, aus denen Frühlingsblumen quollen, standen an beiden Seiten der Stufen, die zu einer abgesenkten Terrasse hinunterführten, auf der ein kleiner, von der Nachmittagssonne beschienener Brunnen stand. Selbst ich konnte erkennen, dass es sich nicht um eine Imitation aus dem Gartencenter handelte. Es war ein fein gearbeitetes Vogelbecken, über das sich eine nackte Wasserträgerin neigte. Vielleicht italienische Renaissance, aber über Kunstgeschichte wusste ich zu wenig, um es genau sagen zu können. Auf jeden Fall war der Brunnen alt und angeschlagen, an manchen Stellen waren Marmorsplitter abgesprungen, und von der Schulter der Nymphebis zur Leistenbeuge zog sich eine Verfärbung von dem Wasser, das aus ihrer Kalebasse tröpfelte.
    Das Wasser roch süß und verführerisch, genau das Richtige nach meinem langen Fußmarsch den Hügel hinauf. Neben dem Brunnen wartete eine gut aussehende Frau mittleren Alters auf mich. Sie trug ein gelbes Sommerkleid aus Baumwolle, einen Strohhut und Sandalen. Als ich näher kam, sah ich, dass sie die Augen ihrer Mutter hatte, schwarz und schräg stehend wie die einer Katze. Sie hatte eine hübsche, fotogene Nase, und ihre Hautfarbe war heller als Beverleys.
    Wo heute der Marble Arch steht, befand sich früher einmal ein Galgen, an dem man die Londoner Verbrecher aufknüpfte. Der Galgen war nach dem benachbarten Dorf benannt worden, und das Dorf hatte seinen Namen von dem Fluss, an dem es lag: Tyburn. Die Dorfbewohner schlugen gewaltigen Profit aus dem grausigen Spektakel und bauten sogar eine Tribüne, um noch mehr Kundschaft anzulocken. Dort wurde die arme Elizabeth Barton gehenkt, ebenso Gentleman Jack, der zuvor viermal hatte entkommen können, und auch Reverend James Hackman für die Ermordung der hübschen Martha Ray. Das alles hatte ich herausgefunden, nachdem Beverley den Namen ihrer Schwester mit der Bemerkung hatte fallen lassen, dass sie diejenige sei, die
viele wichtige Leute
kenne.
    »Ich denke, wir beide sollten uns mal unterhalten«, sagte Tyburn.
    Ich reichte ihr den Blumenstrauß, den sie mit einem erfreuten Lachen entgegennahm. Sie zog meinen Kopf zu sich herunter und küsste mich auf die Wange. Sie roch nach Zigarren und neuen Autositzen, Pferden und Möbelpolitur,Stilton-Käse, belgischen Pralinen und hinter all dem auch nach Hanfseilen und lüsternen Menschenmengen und dem letzten Fall ins Vergessen.
    Ich hatte, so gut es ging, die Quellen aller verlorenen Flüsse Londons aufgespürt. Manche waren leicht zu finden gewesen, wie der Beverley Brook, der Lea oder der Fleet, aber der genaue Ursprung des Tyburn, der legendäre Shepherd’s Well, war im Verlauf des wahnwitzigen Wucherns der Stadt, das nach der Erfindung der Dampfmaschine eingesetzt hatte, in der zweiten Hälfte des 19.   Jahrhunderts verloren gegangen. Dieser Brunnen hier markierte offenbar die Quelle, aber der Brunnen selbst war vermutlich von einem unternehmungslustigen Kolonialbeamten in den letzten Tagen des Empire irgendwo geklaut worden.
    Ich war durstig und sehnte mich nach einem Schluck Wasser.
    »Worüber möchten Sie mit mir sprechen?«, fragte ich.
    »Zunächst hätte ich gern gewusst«, sagte Tyburn, »welche Absichten Sie bei meiner Schwester verfolgen.«
    »Absichten?« Mein Mund fühlte sich plötzlich sehr trocken an. »Meine Absichten sind absolut ehrenhaft.«
    »Wirklich?« Sie bückte sich und holte eine Vase hinter dem Brunnen

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