Die Fluesse von London - Roman
Gesicht mehr, sondern die Karikatur einer Mensch-Bestie-Fratze, die es im wirklichen Leben nicht gab. Der schnauzenähnliche Mund öffnete sich und ich sah die blutroten Ruinen des Kiefers.
»So macht man das!«, kreischte der Kurier und hob den Stock zum Schlag.
Lesley erwischte ihn mit dem Schlagstock am Hinterkopf. Der Kurier taumelte; Lesley schlug noch einmal zu und der Mann fiel mit einem gurgelnden Geräusch vor mir auf den Boden. Ich kroch zu ihm und drehte ihn auf den Rücken, aber es war bereits zu spät. Sein Gesicht fiel in sich zusammen, als sei es aus nassem Papiermaché. Um Nase und Kinn riss die Haut auf und ein großer Hautlappen kam umgeklappt auf der Stirn zu liegen. Ich versuchte mich zu zwingen, etwas zu unternehmen, aber in meinem Erste-Hilfe-Kurs hatte ein Gesicht, das auseinanderklaffte wie ein geplatzter Kugelfisch, nicht zum Ausbildungsprogramm gehört.
Ich schob die Hand unter den Hautlappen, wobei ich bei der Berührung mit der warmen, nassen Masse zurückzuckte,und versuchte ihn wieder über das Gesicht zu legen. Irgendwie hoffte ich wohl vage, damit die Blutung stillen zu können.
»Lassen Sie mich los!«, schrie Dr. Framline. Lesley hatte ihm bereits die Handschellen angelegt. »Lassen Sie mich frei, ich kann ihm helfen!«
Lesley zögerte. Ich nickte ihr zu, und sie öffnete die Handschellen.
Zu spät. Der Kurier versteifte sich plötzlich, dann wölbte sich sein Körper hoch, eine Blutwelle drang durch seinen Hals, quoll durch die Risse und Löcher in seinem Gesicht und sprudelte zwischen meinen Fingern hervor.
Dr. Framline kroch näher, legte dem Kurier den Finger an den Hals und suchte eine Weile nach dem Puls, aber ich sah an seinem Gesichtsausdruck, dass nichts mehr zu finden war. Schließlich schüttelte er den Kopf und sagte, ich solle loslassen. Das Gesicht des Kuriers klaffte wieder auseinander.
Jemand schrie durchdringend, und im ersten Augenblick war ich keineswegs sicher, dass der Schrei nicht von mir kam. Mir war sehr nach Schreien zumute, aber es fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, dass Lesley und ich die einzigen Polizisten am Tatort waren und dass es in der Öffentlichkeit keinen guten Eindruck macht, wenn die Polizei zu schreien anfängt. Mit der Aufgabe, Ruhe und Ordnung zu bewahren, ist es auch nur schwer zu vereinbaren. Ich kam wieder auf die Füße und stellte fest, dass wir von einer Gaffermenge umringt waren.
»Meine Damen und Herren«, rief ich also, »das hier ist eine polizeiliche Angelegenheit. Bitte treten Sie zurück.«
Und die Menge wich gehorsam zurück. Wenn manblutüberströmt vor die Leute tritt, kann das ziemlich wirkungsvoll sein.
Wir sicherten den Tatort ab, bis Verstärkung anrückte. Inzwischen hatten zwei Drittel der Gaffer das Handy am Ohr, fotografierten oder filmten mich und Lesley sowie die verstümmelten Überreste des Fahrradkuriers. Bis der Rettungswagen ankam und die Sanitäter das arme Schwein mit einer Decke zudecken konnten, standen die Bilder längst im Internet. Ich entdeckte Beverley, die am hinteren Rand der Menge herumhing, und als sie sah, dass ich sie bemerkt hatte, winkte sie mir kurz zu, drehte sich um und ging davon.
Lesley und ich zogen uns unter eine benachbarte Ladenmarkise zurück und warteten, dass das Forensikerzelt aufgebaut, die Spurensicherung beginnen und wir unsere Ersatzoveralls erhalten würden.
»So kann’s nicht weitergehen«, sagte Lesley. »Ich hab bald keine sauberen Klamotten mehr.«
Wir lachten – oder taten so als ob. Es ist nicht so, dass so etwas beim zweiten Mal leichter wird; aber man bekommt doch allmählich mit, dass man am nächsten Morgen immer noch als derselbe Mensch aufwachen wird.
Ein Detective Sergeant von der Mordkommission tauchte auf und übernahm das Kommando: eine untersetzte Frau mittleren Alters mit strähnigem braunem Haar, die so aussah, als sei ihr Hobby das Ringen mit Kampfhunden. Das war die legendäre Miriam Stephanopoulos, Seawolls rechte Hand und eine furchterregende Lesbe. In der gesamten Met gab es nur einen einzigen Witz über sie: »Weißt du, was mit dem letzten Polizistenpassiert ist, der einen Witz über DS Stephanopoulos gemacht hat?« – »Nein. Was denn?« – »Das weiß auch sonst niemand.« Okay, okay, ich sage ja nur, das war der einzige Witz über sie, nicht, dass er gut war.
Sie schien aber etwas für Lesley übrigzuhaben, jedenfalls wurden wir dieses Mal sehr viel schneller durchgeschleust. Kaum hatten wir die Klamotten
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