Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
seinem inneren Auge vorüberstürmten. Einmal fuhr er empor; es war ihm fast, als ob er über die Straße herüber einen schwachen Schrei gehört hätte. Sein Blick traf auf das noch schimmernde Licht in dem geheimnisvollen Hause, aber alles war ruhig, kein Laut störte die tiefe Stille, und ermüdet warf er sich endlich auf sein hartes Lager nieder, um ein paar Stunden zu schlafen und wenigstens für kurze Zeit alles das zu vergessen, was ihn jetzt mit so schmerzlichem Weh erfüllte.
Gar verschieden ging es unterdessen in dem kaum zweihundert Schritt entfernten und noch erleuchteten Hause zu, wo Mrs. Luise Breidelford ihre, wie sie oft äußerte, ›bescheidene und anspruchslose Wohnung‹ aufgeschlagen hatte. Allerdings hatte Tom Barnwell ganz recht gesehen oder wenigstens recht vermutet; jene Gestalt, die bald nach seiner Gefangennahme vor das Haus zurückkehrte, war wirklich die des vermeintlichen Hawes gewesen, und lange mußte der junge Verbrecher wieder klopfen, ehe er Einlaß erhielt. Er war aber nicht so leicht abzuweisen und viel zu schlau, um sich durch ein einfaches Ruhigverhalten der Hausbewohner gleich davon überzeugen zu lassen, das Haus sei wirklich für den Augenblick unbewohnt. Er kannte seine Leute besser und vermutete gar nicht mit Unrecht, daß Mrs. Breidelford, trotz ihrer sonst in der Tat ungewöhnlichen Schweigsamkeit, sicherlich hinter der Tür stehe und jede seiner Bewegungen belausche. Als sein Klopfen deshalb immer noch erfolglos blieb, bog er sich zum Schlüsselloch nieder und flüsterte: »Meine verehrte Mrs. Breidelford, es tut mir zwar unendlich leid, daß Ihnen meine Gesellschaft nicht übermäßig interessant oder wünschenswert zu sein scheint, ich muß aber nichtsdestoweniger Einlaß haben, und wenn Sie die Tür nicht öffnen, so klopfe ich hier so lange, bis die ganze Nachbarschaft rebellisch wird. – Dort unten höre ich schon wieder Leute kommen.« Und wiederum begann er mit den Fäusten hart an die schwere Tür zu hämmern.
Keine halbe Minute hatte er es diesmal fortgesetzt, als er von innen einen schweren Riegel zurückschieben hörte, – gleich darauf noch einen, dann war alles wieder ruhig. Er versuchte jetzt, die Tür zu öffnen; diese mußte aber auf jeden Fall noch verschlossen sein, und ohne sich auf weitere Demonstrationen einzulassen, begann er sein Pelotonklopfen aufs neue.
»Herr, Du mein Gott!« sagte da die entrüstete Stimme der ehrsamen Mrs. Breidelford, während sie jedoch den Schlüssel im Schloß umdrehte und die Tür ein klein wenig aufmachte. – »Daß sich unser Herr Jesus erbarme! – Wer in aller Welt –« Sander schnitt ihr hier den Redeschwall kurz ab; denn kaum zeigte die Tür so viel Öffnung, daß er einen Fuß dazwischenschieben konnte, so legte er sich rasch mit seinem ganzen Gewicht dagegen und befand sich im nächsten Augenblick im inneren Raum. Ohne jedoch hier den Ausruf des Schrecks wie die entfernte Andeutung unverweilt eintretender Krämpfe weiter zu beachten, warf er die Tür schnell hinter sich zu und verwahrte sie nun seinerseits ebenso sorgfältig mit Schloß und Riegeln, wie sie vorher verwahrt gewesen war.
»Aber ich bitte Sie, um Gottes willen!« rief die bestürzte Frau.
»Ruhe, meine süße Lady!« bat Sander lächelnd. »Ruhe, holde Luise! – Deine Unschuld ist unbedroht, deine freundlichen Augen sind nicht gefährdet, nur deine herzigen Lippen mußt du verschließen,
Und wenn dir dann das Herz, zu voll,
Im wilden Drange überquillt,
Dann wirf dich, Lieb', an diese Brust,
Und all' dein Sehnen ist gestillt,
dein Sehnen, das dir –«
»Der Henker ist Euer Du!« unterbrach ihn jedoch hier Luise Breidelford auf nicht gerade freundliche Art. »Was in des Teufels Namen vollführt Ihr für einen Lärm an einsamer Witwen Türen, als ob Ihr Euch ein Gewerbe daraus gemacht hättet, die Füllungen einzuschlagen! Mensch, seid Ihr rasend, oder wollt Ihr mich und Euch selber unglücklich machen?«
»Keines von beidem, holde Ariadne«, sagte Sander und machte einen Versuch, seinen rechten Arm um ihre Taille zu legen, eine Bewegung, die sie auf geschickte und ärgerliche Weise parierte, »keins von beiden, ich hatte nur Wichtiges mit Ihnen zu bereden, und da meine Zeit etwas beschränkt ist –; aber, holdseligste der Krämerinnen Helenas, wollen Sie mich denn hier die ganze Nacht auf dem Hausflur stehenlassen? Ich bin kalt, naß, hungrig, durstig, beraubt, verliebt und – in Gefahr, – Eigenschaften, von denen jede einzelne
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