Die Fotografin
und auch Dr. Mertens merkt, dass ich wieder nervös werde.
„So beruhigen Sie sich doch, Adriana“, versucht er mich zu beschwichtigen. „Gregor hat Ihre Kamera aufbewahrt, damit sie in dem allgemeinen Trubel nicht in falsche Hände gerät oder vielleicht sogar einem übereifrigen Polizisten in die Hände fällt.“
„Aber ich brauche doch meine Kamera! Das haben Sie mir empfohlen. Damals vor fünf Jahren. Damals haben Sie gesagt, ich muss mir ein neues Leben aufbauen. Also wurde ich zu einer Jägerin.“
„Da haben Sie aber etwas gründlich missverstanden, Adriana!“ Dr. Mertens lächelt maliziös und das macht mich wütend.
„Was habe ich schon wieder nicht kapiert?“, schreie ich und in den oberen Tonlagen bricht meine Stimme, hört sich gellend und blechern an, einfach grauenvoll.
„Sie sollten Motive einfangen, meinetwegen auch Männer, um sich dann zu vergewissern, dass diese auch existieren. Damit es Ihnen nicht so geht wie im Fall Björn.“
„Björn! Natürlich läuft es wieder darauf hinaus! Sie denken, Talvin ist wie Björn, richtig?“
Dr. Mertens nickt kurz und knapp, schweigt aber.
„Talvin Singh lebt und was noch schlimmer ist: Meine Erinnerung hingegen sagt mir, dass ich ihn ermordet habe!“ Hilfesuchend gestikuliere ich mit den Händen. „Das ist so verdammt absurd. Ich will beweisen, dass er lebt und gleichzeitig glaube ich, dass ich ihn getötet habe!“
„Sie sagen es ja selbst, Adriana, das ist absurd und nicht normal.“ Milde lächelnd lehnt sich Dr. Mertens in seinem bequemen Stuhl zurück, um so ein wenig Distanz zu schaffen, um die große leere Schreibtischplatte als eine Bastion gegen mich und meine Verrücktheit zu benutzen.
„Aber das bekommen wir schon in den Griff. Wenn Sie erst einmal auf die Therapie ansprechen, sehen Sie viele Dinge mit anderen Augen.“
10. Freitag - vormittags
Teilnahmslos liege ich im Bett in der Privatklinik und hänge an einem Tropf, der eine glücklich machende Lösung in meine Blutbahn befördert, um so mein Herz zu heilen, das vor Kummer beinahe auseinanderbricht. Obwohl ich keine Kamera mehr habe, fühle ich, wie mich eine unbekannte Kraft immer weiter Richtung Abgrund zieht. Dagegen kann auch die Glücksinfusion nichts machen.
Die Tür öffnet sich und Gregors Kopf schiebt sich herein. Er lächelt einstudiert und hält einen Blumenstrauß mit beiden Händen umklammert. Sein Handy piepst, aber er ignoriert die Meldung. Wahrscheinlich hat er seine attraktive PR-Assistentin damit beauftragt, einen neutralen Strauß zu besorgen – kein romantisches Bukett für Verliebte oder exotische Blumen für Kreative, sondern einfach eine bunte Mischung für eine durchschnittliche Frau, wie ich es in seinen Augen eben bin.
„Alles o. k.?“ Gregor flüstert, wohl um andere Patienten nicht zu stören, obwohl das nicht nötig ist, denn ich liege ja alleine in einem Zimmer. Ich bin privilegiert. „Du hast ja über 24 Stunden lang geschlafen.“
„Schon wieder 24 Stunden“, murmele ich matt mit schwerer Stimme und Gregor sieht mich verständnislos an.
„Na, vor einigen Tagen, als ich mir den Kopf an der Heckklappe angeschlagen habe, da habe ich ja angeblich auch 24 Stunden geschlafen!“ Ich muss mich lautstark räuspern, denn die Luft in dem Zimmer ist ausgesprochen trocken.
„Ach ja! Stimmt.“ Gregor versucht sich anscheinend zu erinnern, ist aber nicht ganz bei der Sache. „Es kommt mir nur so weit entfernt vor. Es ist ja viel passiert in der Zwischenzeit. Aber eines sollst du wissen: Es ist alles nur zu deinem Besten! Auch wenn es im Augenblick nicht so den Anschein hat, es geschieht, um unsere Familie, um dich zu schützen!“
Gedankenverloren lässt sich Gregor auf einem Stuhl nieder, der ebenfalls weiß ist, so wie alles in dieser Klinik. Gerade als er weiterreden will, piepst erneut sein Handy und kündigt schon wieder eine eingehende SMS an.
„Entschuldige. Dauert nur ganz kurz!“
Gregors Augen glitzern auf eine fremde Art, während er liest und immer wieder leckt er sich über die Lippen. Das ist neu, das hat er früher nie getan. Ehrlich gesagt, macht es ihn ein wenig unsympathisch.
„Was wolltest du mir noch sagen?“, frage ich, als er das Handy endlich wieder in seine Tasche steckt, doch Gregor ist mit seinen Gedanken ganz woanders.
„Was war das für eine SMS, die du soeben erhalten hast?“
„Ach, nichts Wichtiges, nur Brandt, der Imageberater der Partei!“ Gregor macht eine abwertende Handbewegung,
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